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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Collincourts …«
    »Moment!« Polly stand der Mund offen. »Du willst doch damit nicht etwa sagen … bist du etwa … du bist, äh … seid Ihr, Sir, etwa aus dem Geschlecht der Collincourts?«
    Vitus legte Polly die Hand auf den Arm. »Beruhige dich, ja, es ist so. Es muss so sein, denn es gibt nur einen einzigen Grund, der dagegen spricht: die Möglichkeit, dass irgendjemand den Säugling in dem Tuch vertauscht hatte, bevor Abt Hardinus ihn vor dem Klostertor fand. In diesem Fall wäre ich nicht von Adel, sondern irgendein spanisches Findelkind. Aber egal, wir sollten weiter beim Du bleiben, meinst du nicht auch?«
    »Ja … äh, du. Aber warum um alles in der Welt sollte jemand den Säugling vertauscht haben?«
    »Das weiß ich auch nicht. Es ist außerordentlich unwahrscheinlich.«
    »Oder so wahrscheinlich, wie Mittag und Mitternacht zusammenfallen!«
    »Dennoch besteht ein letzter Zweifel an meiner Herkunft, und solange ich den nicht ausgeräumt habe, nenne ich mich Vitus von Campodios – und nehme die Peerswürde nicht an.«
    »Puh, Vitus, darauf muss ich erst mal einen zwitschern.« Polly trank mit durstigen Zügen, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und knallte den Humpen zurück auf den Tisch.
    »Und nun erzähle weiter.«
    »Unglücklicherweise bekam mein Onkel ein paar Monate später die Zitterkrankheit. Ein Leiden, das unweigerlich zum Tod führt. Vor ein paar Wochen ist er daran gestorben. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu regeln, was zu regeln war. Und nun bin ich hier und suche ein Schiff in die Neue Welt, um Arlette zu finden.«
    »Das alles tut mir so Leid, Gabriel.« Die weiche Seite von Polly trat zutage – wie immer, wenn sie eine traurige Geschichte hörte. »Sag, bist du mit Arlette wirklich verwandt?«
    »Ja, sie ist eine Cousine sechsten Grades von mir, die Enkelin von Odo Collincourt, meinem Großonkel.«
    »Eine Cousine sechsten Grades? Na, fabelhaft!«, rief Polly betont munter, »dann könnt ihr doch ohne weiteres heiraten! Du brauchst sie nur noch zu finden und in die Arme zu schließen. Und wie ich dich kenne, wird dir das auch gelingen, so wahr ich Polyhymnia heiße!«
    »Ich traue mir schon zu, sie zu finden«, entgegnete Vitus düster. »Vorausgesetzt, sie ist noch am Leben. Von meinem Onkel, bei dem Arlette bis zu ihrem Aufbruch in die Neue Welt lebte, weiß ich, dass sie nach Roanoke Island wollte, einer dem neuen Kontinent Amerika vorgelagerten Insel. Dort hat unser Verwandter Thomas Collincourt eine Plantage. Ihn wollte sie aufsuchen, wohl aus Abenteuerlust oder um in der Neuen Welt einen Mann zu finden. Ich weiß es nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob sie mich liebt.«
    »Wie? Na hör mal! Natürlich liebt sie dich.«
    »Aber warum sollte sie? Sie denkt, ich bin ein Dieb.«
    »Was sie denkt und was sie fühlt, Gabriel, kannst du nicht beurteilen, denn du bist ein Mann«, stellte Polly kategorisch fest. »Arlette ist, so wie du sie beschrieben hast, eine kluge, energische junge Frau, die genau weiß, was sie will. Hat sie sich etwa an der Lazaretttür von dir aufhalten lassen? Siehst du, das hat sie nicht. Und genauso wusste sie in jener Nacht in ihrer Kabine, was sie wollte – nämlich dich.«
    »Aber … aber sie wollte auch, dass alles aus war, als sie mich mit der Hand in ihrer Truhe entdeckte.«
    »Unsinn, ob ich mit jemandem schlafe, weil ich ihn liebe, oder ob ich ihn rausschmeiße, weil ich glaube, ihn beim Klauen erwischt zu haben, ist ein großer Unterschied. Das eine ist Liebe, das andere Temperament. Wahrscheinlich hat sie es mittlerweile schon Hunderte von Malen bereut, dass sie dich einfach fortschickte.«
    »Du meinst … du meinst, sie liebt mich trotzdem?«
    »Aber natürlich, ich schwör’s bei allem, was mir heilig ist.«
    »Oh, Polly, ich danke dir, ich danke dir so sehr!« Vitus schluckte und fuhr sich mit der Hand über die Augen, während seine Schultern zu zucken begannen. Ohne etwas dagegen tun zu können, fühlte er, wie die Anspannung der letzten Wochen übermächtig wurde und sich in einem Strom von Tränen entlud. Geraume Zeit saß er so und weinte, und er spürte, wie gut es ihm tat; und als er glaubte, es wäre genug, sagte er aufblickend: »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist, Polly, entschuldige bitte mein albernes Verhalten.«
    Doch Polly war fort.

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