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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Magister jedenfalls verbindet mich eine tiefe Freundschaft; wir haben immer alles gemeinsam durchlitten, seit den Folterungen durch die spanische Inquisition. Der Magister mit seinem Galgenhumor sagte vor den Torturen immer ›Unkraut vergeht nicht!‹, weshalb ich ihn noch heute manchmal ›Du Unkraut!‹ nenne. Er seinerseits tut dasselbe mit mir.«
    »Du warst unter der Folter der Inquisition? Bei meiner Seele! Hier, trink!« Polly schenkte großzügig nach. »Gott sei Dank scheinst du sie leidlich überstanden zu haben, sonst säßest du nicht hier. Und wo hast du nun die Kleine kennen gelernt, die du in der Neuen Welt suchen willst?«
    »Auf See. Wir fuhren unter dem Korsaren Sir Hippolyte Taggart …«
    »Taggart?«, rief Polly ungläubig aus. »Mein Gott, Taggart! Der alte Bärbeiß ist hier an der Küste bekannt wie ein bunter Hund. Bin stolz, dass er schon des Häufigeren Glanz in meine Hütte gebracht hat. Wie geht es ihm?«
    »Vor fünf Monaten, als er den letzten Brief an mich abschickte, ging es ihm gut, obwohl er beklagte, dass die Frachträume seiner
Falcon
noch immer nicht voll mit spanischem Gold seien und er deshalb bis zum nächsten Frühjahr in den westindischen Gewässern bleiben müsse.«
    »Hm. Und was passierte weiter?«
    »Nach einem Seegefecht, in dem die
Falcon
zwei englischen Schiffen gegen die Spanier zu Hilfe geeilt war, sah ich sie zum ersten Mal. Ich hatte mein Lazarett in der Kapitänskajüte der
Argonaut
eingerichtet, als Arlette plötzlich in der Tür stand.«
    »Arlette? Sie heißt also Arlette?«
    »Ja, das ist ihr Name. Sie hatte sich von der
Phoenix
herüberrudern lassen, einem Kauffahrer, dessen Ziel die Neue Welt war. Sie wollte mir bei der Versorgung der Verwundeten helfen. Ich wusste damals noch nicht, aus welchem Holz sie geschnitzt ist, deshalb sagte ich zu ihr so etwas wie: ›Das, was hier drinnen geschieht, ist nichts für schwache Nerven, Lady, Ihr würdet nur zersplitterte Knochen zu sehen kriegen und jede Menge Blut.‹ Und weißt du, was sie mir darauf zur Antwort gab? ›Wir Frauen sehen jeden Monat Blut.‹«
    »Waaas? Das ist doch … Hoho!« Polly prustete los. »Die Dame ist nach meinem Geschmack! Wusste, was sie wollte! Komm, erzähl weiter, ich schwärme für Liebesgeschichten.«
    Vitus starrte in seinen Humpen. »Eine Liebesgeschichte ist es wohl kaum«, sagte er schwer. »Zumindest keine mit glücklichem Ausgang. Ich lernte Arlette näher kennen bei einem Abendessen, das der Kapitän der
Phoenix
an Bord seines Schiffs gab. Zu vorgerückter Stunde wurde sie an Deck vom Ersten Offizier der
Argonaut
bedrängt. Ich rettete sie aus dieser Situation. Der Mann hat sich später tausendmal dafür entschuldigt und die
Argonaut
in vorbildlicher Weise nach England zurückgesegelt. Heute ist er mein Verwalter auf Greenvale Castle, und ein sehr guter dazu, aber das ist wieder eine eigene Geschichte. Ich jedenfalls blieb über Nacht …«
    »Ja? Du bliebst über Nacht? Wo bliebst du über Nacht? Komm, Gabriel, spann mich nicht so auf die Folter!«
    »Nun ja, warum soll ich es dir nicht erzählen. Ich blieb also über Nacht bei Arlette, und es war die schönste Nacht, die ich je erlebt habe. Am anderen Morgen, als ich erwachte, war ich allein in ihrer Kabine. Ich sah mich um. In einer Ecke entdeckte ich eine Truhe, eine ganz normale Kleidertruhe, und dennoch glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen, denn auf dem Deckel war mein Wappen abgebildet. Mein Wappen! Ich wollte, ja ich musste Näheres wissen und griff hinein – und in diesem Augenblick kam Arlette zurück. Sie war zuvor an Bord schon bestohlen worden und dachte nun, auch ich wäre ein Dieb. Ein Wort gab das andere. Als ich ihr schließlich sagte, dass wir beide wahrscheinlich verwandt seien, war sie vollends überzeugt, es mit einem Betrüger und Hochstapler zu tun zu haben. Sie warf mich hinaus. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zur
Argonaut
übersetzen zu lassen, um dort die Verwundeten weiter zu versorgen. Als ich später am Tag zurückwollte, um mit Hilfe des Magisters und Enanos das Missverständnis aufzuklären, war die
Phoenix
fort. Und mit ihr Arlette.«
    »Und du hast sie seitdem nie wieder gesehen?«
    »Nie wieder.« Vitus umklammerte den Humpen, die Augen dunkel vor Kummer. »Ich fuhr mit meinen Freunden nach England und traf kurz danach mit ihnen auf Greenvale Castle ein. Dort lebte der alte Lord Collincourt, der sich als mein Großonkel herausstellte, denn mein Wappen ist das der

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