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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Das irische Kauderwelsch, das der Steuermann manchmal temperamentvoll einflocht, störte ihn nicht weiter, hatte er doch mit Ó Moghráin einen Mann in Plymouth aufgetrieben, der sein Handwerk verstand, und das bei einer vergleichsweise lächerlichen Heuer. Wieder einmal hatte sich ausgezahlt, dass er, Stout, sich nicht scheute, auch spät im Jahr in die Neue Welt zu segeln. Einem Seemann war es allemal lieber, für ein kleines Entgelt an Bord zu gehen, als an Land festzusitzen und am Hungertuch zu nagen. Und mit den Passagieren verhielt es sich ähnlich. Sie zahlten nicht nur einen hohen Preis, sie arbeiteten noch obendrein, und alles nur, um mit der Überfahrt nicht bis zum nächsten Frühjahr warten zu müssen. »Ich begebe mich in meine Kajüte, Ó Moghráin. Will eine Mütze voll Schlaf nehmen. Wenn etwas ist, das ich wissen sollte, wendet Euch an Mister Gerald.«
    »Aye, aye, Sir!«
     
    Stout beabsichtigte keineswegs zu schlafen, vielmehr gedachte er, eine kräftige Zwischenmahlzeit einzunehmen. Gerade schnitt er sich voller Vorfreude eine dicke Scheibe geräucherten Schinkens ab, als es energisch an der Kajütentür klopfte. Er blickte auf. Automatisch überprüften seine geschärften Sinne die Fahrt des Schiffs, konnten aber nichts Außergewöhnliches feststellen. Alles schien in schönster Ordnung. »Ich bin jetzt nicht zu sprechen!«, rief er unwirsch.
    »Es ist aber wichtig, Sir!«
    Stout erkannte die Stimme des Vitus von Campodios. Rasch schlang er die Scheibe hinunter und spülte mit einem großen Becher Gin nach. Anschließend ließ er Schinken und Ginflasche in einem Schapp an der Steuerbordseite verschwinden. Niemand brauchte zu wissen, welche Köstlichkeiten er sich einverleibte, während seine Offiziere und Mannschaften nur mit billigsten Nährmitteln vorlieb nehmen mussten: Saubohnen, Erbsen, Hartbrot – und am Sonntag mal ein Stück Pökelfleisch. Wenn überhaupt. Die übliche abendliche Ration Brandy hatte er schon bei der vorletzten Reise abgeschafft, zu teuer auf die Dauer … »Herein!«
    »Verzeiht die Störung, Sir, aber ich muss Euch dringend sprechen.« Vitus verbeugte sich kurz und musterte die Kajüte des Kapitäns. Sie war spartanisch eingerichtet. Stout schien sich nur das Nötigste zu gönnen, und dieses Wenige war in schlechtem Zustand: von dem alten Mahagonitisch, der dem Kartenstudium diente, blätterte der Lack ab, und der Vorhang, der den Kackstuhl züchtig verdeckte, war mehrfach geflickt, ein Zustand, den er mit der wollenen Decke, die über die Koje gebreitet war, gemeinsam hatte. Damit nicht genug, machte der Waschtisch unter dem Backbordbalkenknie einen schäbigen Eindruck; Schüssel und Krug darauf waren nur aus einfachem Steingut. Sie wiesen tiefe Risse auf, ein Zeichen dafür, wie oft sie schon herabgefallen und anschließend wieder geklebt worden waren.
    Stout selbst bildete in dieser Umgebung keine Ausnahme. Seine Kleidung, ein Mittelding zwischen Zivilanzug und Uniform, war an vielen Stellen abgeschabt und ausgebessert. Von den Knöpfen seiner Weste glich kaum einer dem anderen.
    »Schießt los, Cirurgicus, meine Zeit ist begrenzt.« Der Kapitän unterließ es, Vitus einen der mit rissigem Leder bespannten Stühle anzubieten. Vielleicht ahnte er, dass die Unterredung nichts Angenehmes zum Gegenstand haben würde.
    »Nun, Sir. Um es kurz zu machen: Der Gesundheitszustand der Leute ist alles andere als gut. Von den siebenunddreißig Mannschaften und Decksoffizieren leiden nicht weniger als zweiundzwanzig an Scharbock, einer Erkrankung, deren Ursache nicht genau bekannt ist, viele Ärzte allerdings sind der Meinung, dass schlechte Ernährung …«
    »Ich weiß, was Scharbock ist«, unterbrach Stout. »Die Männer sollen sich nicht so anstellen. Die paar blauen Flecken und das bisschen Bluten im Zahnfleisch! Seit Jahrhunderten befahren Matrosen die Meere, und der Scharbock gehört zu ihnen wie der Teredowurm zum Kiel. Daran ist nichts zu ändern.«
    »Gewiss, Sir, darf ich dennoch vorschlagen, den Männern in den nächsten Tagen Frischfleisch …«
    »Nein, Cirurgicus, das dürft Ihr nicht!« Abermals unterbrach Stout. Eine Ader an seiner Schläfe begann zu pochen. Frischfleisch für die Mannschaft! So weit kam es noch! Das Schaf, das in einem Käfig an Deck untergebracht war, hatte er für seinen persönlichen Bedarf angeschafft, denn er hatte eine Schwäche für Hammelfleisch. Teuer genug war es gewesen, sündhaft teuer sogar, weshalb er angeordnet hatte, keine

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