Der Chirurg von Campodios
weiteren Tiere mehr zu kaufen. Einzig Powell hatte irgendwo im Hafen noch einen Hahn zum Spottpreis ergattert. Stout stellte ihn sich als Weihnachtsschmaus vor: sorgfältig ausgenommen, mit Feigen und Trockenpflaumen aus seinen persönlichen Beständen gefüllt und anschließend von allen Seiten knusprig braun gebraten. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, versiegte allerdings jählings angesichts des Gedankens, dass der Vogel ihm bis dahin die Haare vom Kopf gefressen haben würde.
»Nun, Sir, ich hörte, es geht über Madeira in die Neue Welt. Mit Eurer Erlaubnis werde ich in Funchal frisches Gemüse und frisches Fleisch an Bord nehmen lassen. Die Mannschaft braucht es.«
Stout, der es sich hinter seinem Mahagonitisch bequem gemacht hatte, sprang hoch wie von einer Stahlfeder geschnellt. »Den Teufel werdet Ihr, Herr Cirurgicus! Die Männer bekommen das, was sie schon immer bekommen haben, oder wollt Ihr die Welt neu erfinden? Ich wiederhole: Die Männer bekommen das, was sie schon immer bekommen haben, und wenn sie krank sind oder krank werden, heilt sie gefälligst. Wozu seid Ihr Arzt? Das ist ein Befehl!«
»Aye, aye, Sir.« Vitus biss die Zähne zusammen. Seine Arbeit hatte er sich anders vorgestellt. Doch es half nichts. Gleich nach Gott kam an Bord der Kapitän. Sein Wort war Gesetz, zumindest für die, die in der Musterrolle standen, und das tat er, seit er als Schiffsarzt angeheuert hatte. »Ich muss Euch auf zwei weitere, noch schwerwiegendere Fälle aufmerksam machen, Sir. Es handelt sich um Fiebererkrankungen. Die Matrosen liegen vorn im Logis unter dem Backsdeck und sind völlig apathisch.«
»Ihnen dürfte nur ein wenig Schlaf fehlen.«
»Mit Verlaub, Sir, ich fürchte, es ist schlimmer. Beide Patienten haben Hautausschlag am ganzen Körper, Leber und Milz sind eindeutig vergrößert, Zunge und Lippen bräunlich schwarz verfärbt, dabei von trockener, rissiger Beschaffenheit. Ich bin sicher, es ist eines jener vielfältigen bösartigen Fieber, gegen die ein Arzt nicht viel mehr ausrichten kann, als die Symptome zu bekämpfen.«
»Was gedenkt Ihr zu tun, Cirurgicus?« Stouts Stimme klang jetzt zugänglicher. Was ihm soeben mitgeteilt worden war, durfte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Zwei Männer ernstlich krank, das bedeutete zwei Totalausfälle und damit eine weitere Schwächung der Mannschaftsstärke, eine Schwächung, die sich ungünstig auf die Fahrtgeschwindigkeit auswirken konnte.
»Ich werde beiden regelmäßig einen Weidenrindentrank geben, dazu die schwache Dosis einer Substanz, die aus der Spanischen Fliege gewonnen wird, Kantharidin genannt. Die Kranken müssen viel trinken und warm gehalten werden. Ich habe mich über die verschiedenen Fieber noch einmal belesen und weiß deshalb, dass durchaus Heilungsaussichten bestehen, immer vorausgesetzt, es kommt nicht zum so genannten Schwarzen Erbrechen.«
Stout spürte ein leichtes Würgegefühl.
»Das Schwarze Erbrechen ist das schlimmste bekannte Fieber, Sir, ich möchte alles tun, um sein Auftreten an Bord zu verhindern. Mit Eurer Erlaubnis habe ich deshalb das Mannschaftslogis und die Unterkünfte der Decksoffiziere mit Essigwasser auswaschen und anschließend mit Schwefel ausräuchern lassen. Ferner habe ich dafür gesorgt, dass die beiden Kranken von den anderen Männern isoliert werden. Ich hoffe, dass diese Maßnahmen ausreichen.«
»Tja, hm, das hoffe ich auch.« Stout trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch. Dann, fast anerkennend, sagte er: »Dafür, dass wir erst einen Tag auf See sind, Cirurgicus, habt Ihr schon allerhand unternommen.«
»Aye, Sir.« Vitus sparte sich die Bemerkung, dass er gern viel mehr täte, indem er der Besatzung besseres Essen gäbe. Er nahm sich vor, dass darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen sein sollte. Laut sagte er: »Ich muss wieder zurück zu meinen Patienten, Sir, es warten noch einige Prellungen und Quetschungen auf mich.«
»Lasst Euch nicht aufhalten, Cirurgicus.« Stouts Blick wanderte verlangend zum Schapp mit dem Schinken.
Einen Tag später, bei vier Glasen während der Nachmittagswache, stand Vitus mit seinen Freunden auf dem Hauptdeck. Sie ließen sich den Wind um die Nase wehen, füllten die Lungen mit frischer Luft und genossen den Salzgeschmack auf den Lippen. Plötzlich entstand Leben im Heckbereich des Schiffs. Eine Personengruppe war dort erschienen, bestehend aus einem schlanken Seemann mit stahlblauen Augen und zwei junge Damen. »Ja, das
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