Der Chirurg von Campodios
ärgerte, dass der Gnom ihn nicht mit »Sir« anredete und auch nicht mit »Aye, aye, Sir« antwortete, schielte auf seinen Knochen. Nun, man würde sehen; der Zweck heiligte die Mittel. »Sicher habt Ihr davon gehört, dass Barks, der Mannschaftskoch, erkrankt ist, weshalb ich mir Sorgen mache um das Wohlergehen meiner Männer, schließlich sollen sie jeden Tag etwas Anständiges zu beißen kriegen.«
Das war natürlich gelogen, denn nichts interessierte Stout weniger als das Wohl seiner Männer. Für ihn war jeder Einzelne nichts weiter als ein Stück Arbeitskraft. Eine Kraft, die möglichst für zwei schaffte und im Idealfall die Hälfte jener Menge Nahrung benötigte, die ein Mann brauchte. Natürlich kam es immer wieder vor, dass die eine oder andere Arbeitskraft verloren ging, sei es durch Hunger, durch Unfall oder durch Flucht, aber damit ließ sich leben – so lange jedenfalls, wie die anderen Kräfte in der Lage waren, die Ausfälle aufzufangen. Kritischer wurde es jedoch, wenn er selbst, Archibald Stout, betroffen war. Und genau dieser Fall lag jetzt vor. Es ging schließlich nicht an, dass er, wie die gewöhnlichen Arbeitskräfte, madigen Zwieback, schimmeligen Käse oder steinharte Bohnen zu sich nahm. Er quälte sich ein Lächeln ab und fuhr fort: »Man spricht davon, dass Ihr, äh … Mister Enano, Erfahrungen als Schiffskoch habt. Darf ich fragen, ob Ihr die Kunst des Fleischeinpökelns beherrscht?«
»Wiewo, un wenn ich’s könnt?«
Das klang verheißungsvoll. »Nun, wenn Ihr es könntet«, erwiderte Stout und kam sich sehr schlau vor, »bäte ich Euch, mein Schaf zu schlachten und das Fleisch gehörig einzupökeln, damit wir alle lange etwas davon haben.«
Das war abermals gelogen, denn Stout dachte nicht daran, jetzt, wo sein Schinken alle war, das Hammelfleisch mit anderen zu teilen. Erwartungsvoll blickte er den Buckligen an.
»Ich kann’s nich, Kaptein, selbst wenn ich’s wollt.«
»Was sagt Ihr da?« Stout stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Dieser kleine Mistkerl! Tat erst so, als verstünde er etwas vom Einpökeln, um ihn dann anschließend, mit einem unverschämten Grinsen, des Gegenteils zu versichern. Na warte, du Missgeburt!, fluchte er im Stillen. Laut sagte er: »Ihr seht Euch also nicht in der Lage, ein paar Stücke Fleisch einzusalzen – eine Arbeit, die jeder hergelaufene Dummkopf tun könnte. Nun, ich gebe Euch Gelegenheit, es zu erlernen. Ihr werdet ab sofort auf diesem Schiff als Koch dienen, und nicht nur das, Ihr werdet Euch zusätzlich persönlich um mein leibliches Wohl kümmern. Das ist ein Befehl.«
»Nebbich, Kaptein. Nix werd ich. Hab das Geschockel auf Euerm Kahn gezastert un brauch nich malochen.«
Stouts Faust stieß vor. Der Schinkenknochen zielte direkt auf den Zwerg. »Ihr werdet es! Sonst gnade Euch Gott! Denn wenn Ihr Euch weigert, lass ich die Peitsche auf Eurem Buckel eine Hornpipe tanzen! Dass ich die Macht dazu habe, muss ich wohl kaum betonen!«
»Wui, wui, das is wohl so.« Das Männchen taxierte Stout abschätzend. Dann lächelte es schief. »Ich will’s wohl tun, Kaptein, wenn Ihr mir zwei Kracher zurückstecht.«
»Wie? Was? Zwei Kracher zurückstecht? Was soll das nun wieder heißen?«
»Zwei Kracher sin zwei Pfund, Kaptein. Vitus hat fürs Geschockel auch zwei Kracher retour gekriegt, weil er als Schiffsarzt malocht, un wenn ich als Schiffskoch trafacke, will ich’s genauso.«
»Ich soll dir, äh … Euch zwei Pfund von den fünf für die Überfahrt gezahlten zurückgeben?« Stout merkte, wie ihm endgültig die Galle hochkam. »Eher fress ich sämtlichen Tang der Sargassosee!« Der Schinkenknochen zielte unverändert auf das Brustbein des Zwergs. »Und nun an die Arbeit! Als Erstes kocht Ihr mir diesen Knochen aus. Aber schön lange, so lange, bis auch das letzte Fettauge auf der Brühe schwimmt!«
Der Winzling schien sich geschlagen zu geben, denn er zuckte mit den Schultern. »Wui, wui, Kaptein, wenn’s denn beliebt.«
»Das heißt ›Aye, aye, Sir‹, merkt Euch das. Und zwar ein für alle Mal!«
»Aye, aye, Sir.« Die vorschriftsmäßige Antwort hörte sich aus dem Fischmündchen seltsam lächerlich an. Der Zwerg verbeugte sich theatralisch und ging zur Tür. Stout dachte schon, das Gespräch hätte zu guter Letzt eine zufriedenstellende Wendung genommen, als sein Besucher sich plötzlich noch einmal umdrehte.
»’s is nur wegen dem Einpökeln, Kaptein«, sagte er, »ich kann’s nich tun, weil der Kleebeißer
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