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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Ton wurde ätzend: »Vitus von Tralala und Oh, oh, Ó Moghráin, ihr verdammten Wichtigtuer! Eure Zeit ist vorbei. Ich übernehme das Kommando. Und als Erstes schmeiße ich diese halbe Portion über Bord.«
    Er hielt Vitus und Bruder Ambrosius mit der Klinge in Schach und riss den Bewusstlosen brutal hoch.
    »Nee, das lässte schön bleiben! Schön bleiben lässte das!«
    Für den Bruchteil eines Augenblicks war Fraggles abgelenkt, und das war, wie sich herausstellte, ein Bruchteil zu viel. Denn Phoebe nutzte ihn, um dem Meuterer einen mächtigen Stoß in den Rücken zu versetzen. Fraggles’ eben noch so selbstzufriedene Visage nahm einen ungläubigen Ausdruck an, während er krampfhaft bemüht war, sich auf den Beinen zu halten. Wild in der Luft rudernd, gaben seine Hände das Messer frei, wodurch es in hohem Bogen ins Wasser fiel. Er selbst, über das Dollbord stolpernd, folgte ihm einen Wimpernschlag später. Sogleich versuchte er, sich mit hektischen Bewegungen an der Oberfläche zu halten, dabei Wasser schluckend und heftig prustend: »Hilfe, zu Hilfe! Ich kann nicht … nglllrrrrr … schwimmen … nglllrrrrr … So helft mir doch!«
    »Danke, Miss Phoebe! Das habt Ihr großartig gemacht!« Vitus schaltete schnell: »Magister, Enano, Bantry! Werft ihm eine Leine zu und zieht ihn wieder ins Boot. Anschließend fesselt ihr ihn an den Mast. Dort bleibt er erst einmal. Wir entscheiden später, was mit ihm geschieht. Der Mann ist eine Gefahr für uns alle.«
    Er beugte sich hinunter zu dem Geretteten. Der zerschlissenen Kleidung nach handelte es sich um einen einfachen Matrosen. In dem jungen Gesicht, dessen Wangen eben erst den Anflug eines Bartflaums zeigten, stand die totale Erschöpfung. Vitus schätzte den Burschen auf höchstens siebzehn. »Kannst du mich hören, Junge? Heee, Junge!« Er nahm das schmale Gesicht zwischen seine Hände und blickte forschend zwischen die halb geschlossenen Lider.
    Keine Reaktion. Stattdessen setzte in seinem Rücken ein Handgemenge ein. Offenbar wehrte sich der an Bord gezogene Fraggles gegen seine Fesselung. Doch darum konnte Vitus sich jetzt nicht kümmern. Ohne aufzublicken, sagte er: »Bruder Ambrosius, bitte bringt den Meuterer zur Ruhe. Wie Ihr es macht, ist mir egal, aber bringt ihn zur Ruhe!«
    »Mit Vergnügen, Cirurgicus.«
    Unmittelbar danach hörte er einen klatschenden Schlag, begleitet von Ambrosius’ Worten: »Doppelt gibt, wer schnell gibt, wie es so schön heißt.« Und etwas später: »Oh, Herr, verzeih einem armen Sünder seine Gewalttätigkeit, er wird zur Buße fünf Ave-Maria beten!« Und noch etwas später: »Du hast Recht, Herr, fünf Ave-Maria wären gar zu billig. Der arme Sünder wird zehn beten.«
    »He, Junge, so wach doch auf!« Noch immer bemühte sich Vitus, den Jüngling anzusprechen. Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, begannen dessen Lider zu flattern, sein Mund ging auf, schloss sich wieder, ging abermals auf und formte unverständliche Worte.
    »Was sagst du, Junge? Ich kann dich nicht verstehen.«
    »Wo … wo … bin ich?«
    »Du bist an Bord der
Albatross
, einem von uns selbst getakelten Boot. Wir sind Schiffbrüchige wie du, nachdem wir von Piraten überfallen wurden.«
    Die Augen des Geretteten weiteten sich entsetzt.
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist schon einige Tage her. Aber man sieht sich immer zweimal im Leben, und ich habe mir geschworen, es diesem tückischen Piratenhäuptling mit dem riesigen Unterkiefer heimzuzahlen.«
    »Jawy!«
    »Was sagst du?«
    »Großer Gott, Jawy! Das war Jawy!«, flüsterte der Junge und fasste sich gleichzeitig ans Herz.
    Vitus sah, dass seine Hand eine hässliche, durch das Salzwasser rot angeschwollene Stichwunde aufwies. »Beruhige dich«, sagte er. »Jawy heißt der feine Herr also, dem wir dies alles zu verdanken haben. Bei Gott, den Namen werde ich mir merken. Und wo wir gerade bei Namen sind: Ich heiße Vitus von Campodios und bin der Führer dieses Schiffs. Und wie heißt du?«
    »Hewitt, Sir«, flüsterte der Jüngling. »Ich bin Hewitt.«
     
    Am frühen Nachmittag zogen einige Schleierwolken auf, die dann und wann das gleißende Sonnenlicht abschwächten. Es briste auf. Die
Albatross
steuerte einen Kurs, der einen halben Strich südlicher als West lag, kein Idealkurs, wie Ó Moghráin nach einem Blick auf den Kompass feststellte, aber vertretbar und auch notwendig, denn mit dem provisorischen Sprietsegel ließ sich nicht sonderlich hoch an den Wind gehen. An Bord

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