Der Clan
1
Anne, Prinzessin Aljechin war (wer immer sie früher einmal gewesen sein mochte, wo immer sie geboren sein mochte) die »geborene« Prinzessin. Jedermann gab das zu. Prinz Igor hatte sie dazu gemacht. Vielleicht aber war sie bereits mit dieser »königlichen« Ausstrahlung geboren worden, und die Heirat mit Prinz Igor Aljechin hatte ihr nur die Gelegenheit gegeben, damit auch offiziell aufzublühen.
Jedenfalls sah sie aus wie eine Prinzessin, groß, schlank, von natürlicher Anmut und Grazie. Das wunderschön maßgeschneiderte rosa Kostüm, das sie trug, hätte fast jede Frau edel aussehen lassen. Anne aber hätte selbst noch splitternackt aristokratisch ausgesehen.
Sie war sich der Tatsache bewußt, daß die Hardemans letztlich nur Neureiche und unkultivierte Amerikaner waren. Geld, sagte sie wieder einmal am Dinnertisch von Nummer eins in Palm Beach, kann vieles kaufen, aber alten Adel nicht.
Dem Alten war eigentlich das Trinken schon längst verboten worden. Aber das kümmerte ihn nicht. Er trank weiter seinen gewohnten kanadischen Whisky. Zwar immer nur einen oder höchstens zwei, aber die schüttete er wie ein Bauer in sich hinein, sichtlich mehr an der Wirkung des Alkohols interessiert als an dem Geschmack dessen, was er trank.
Anne hatte von einem der Dienstboten von Nummer eins eine Flasche Tio Pepe kaufen lassen. Eine andere, sehr viel ältere Prinzessin namens Esterhazy hatte ihr nämlich einmal gesagt, daß »man« Gästen nur einen einzigen Sherry serviere: eben Tio Pepe, und zwar ausschließlich in Murano-Gläsern, am besten Pokalgläsern mit Kristallstiel und Milchglaskelchen.
Nummer eins war immer schon von der rauheren Art gewesen, für
den das höchste der Gefühle von Weitläufigkeit war, das Trinkglas anschließend ins Kaminfeuer zu werfen. Jetzt, wo er längst an den Rollstuhl gefesselt war, konnte er zwar keine Kraftakte solcher Art mehr ausführen, aber er war trotzdem ein rauher Bursche geblieben: ein Wilder. Er war jedoch buchstäblich geschrumpft in den letzten Jahren und wog schätzungsweise zwanzig Kilo weniger als das letzte Mal, da Anne ihn gesehen hatte. Seine Hosenbeine hingen schlotternd an ihm, und die Beine selbst waren schon seit vielen Jahren nicht mehr zu gebrauchen. Seine Schultern schienen deutlich schmaler geworden zu sein, zumal er gebückt und eingesunken dasaß. Seine Ohrläppchen berührten die Schultern fast, und das Gesicht war voller Falten, Furchen und Runzeln. Selbst bei Tisch trug er ständig einen Panamastrohhut, um seine Glatze mit den großen Altersflecken zu verbergen.
Was Prinzessin Anne anging, so war sie ein Snob geworden. Aber mit voller Absicht, und deshalb zelebrierte sie das auch ausdrücklich.
Nummer eins durfte so gut wie nichts mehr von dem essen, was seinem Gast serviert wurde. »Und was, zum Teufel, kriege ich zu essen? Nur noch Zeug, das widerlich schmeckt. Aber soll ich dir mal was sagen, Anne? Seit fünfunddreißig Jahren bin ich jetzt unter der sogenannten Obhut einer ganzen Armee dieser Schnippler von Ärzten, doch die meisten habe ich schon überlebt. Und zwar vorwiegend dadurch, daß ich genau das, was sie mir verordnet haben, nicht tat. Weißt du, wie alt ich bin, Anne? Fünfundneunzig, meine Liebe. Aber werde lieber selber nicht so alt. Es lohnt sich nicht, ist es nicht wert.«
»Nein?«
»Absolut nicht. Denk doch nur daran, wen man da alles verliert. Lieber Gott, stell dir vor, Elizabeth ist schon seit fünfundvierzig Jahren tot! Sogar mein Sohn schon seit über zwanzig. Und jetzt deine Mutter .«Er schüttelte den Kopf. »Sally war eine großartige Frau. Sie war meinem Sohn eine gute Ehefrau.«
»Und mir eine gute Mutter«, sagte Anne.
»Ja, sicher. Deshalb bist du ja wohl auch zu mir gekommen, nicht? Um der gemeinsamen Erinnerungen willen.«
»Nein«, sagte Anne mit brutalem Ernst, »deshalb nicht. Sondern um zu sehen, ob du bereit bist, nach all den Jahren endlich die Wahrheit zuzugeben.«
»Was denn für eine Wahrheit?«
»Daß du gar nicht mein Großvater bist, du Ungeheuer von einem alten Lügner.«
»Anne!«
»Ach was, Anne! Mein Vater bist du, verdammt noch mal, oder vielleicht nicht?«
»Anne, um Gottes willen ...!«
»Sterbende beichten die Wahrheit. Das ist ja auch ganz natürlich.« Sie griff nach der Flasche und schenkte sich noch einen Tio Pepe ein. »Als sie starb, erzählte es mir meine Mutter, das von ihr und dir. Loren Zwei wußte auch, daß er nicht mein Vater war, aber er sagte mir niemals ein Wort
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