Der Clan
Karosserie nicht aus Stahlblech, sondern aus Kunstharzmaterial. Jedes Einzelteil der Karosserie war durch Strecken und Dehnen des Materials und anschließendes Übergießen mit Lagen von Kunstharz geformt. War es fertig, nahm man es vom Model ab, und ein neues, identisches Teil konnte begonnen werden.
Keijo kam herbei und schlug mit einem großen Vorschlaghammer auf eine der Türen. Die Tür gab nach und verformte sich, nahm aber gleich danach wieder ihre ursprüngliche Form an.
»Die ganze Karosserie besteht aus diesem Material«, erläuterte Keijo, »verstärkt durch einen Stahlrahmen. Dieses Material läßt sich bohren und verschrauben, aber auch vernieten. Die meisten Verbindungen sind jedoch mit Epoxidzement gemacht, das ist praktisch ein Superkleber.«
»Was für Tests machen Sie jetzt gerade?« fragte Angelo.
Keijo zeigte ihm ein breites Lächeln. »Aber das wissen Sie doch längst, oder?«
»Streßtests«, nickte Angelo. »Scharfes, schnelles Kurvenfahren, um Rahmen und Karosserie höchsten Belastungen zu unterwerfen.«
Keijo nickte. Aber das war ein japanisches Nicken. Es begann schon in der Hüfte und sah am Ende aus wie eine kurze Verbeugung. »Ich zeige Ihnen einen Wagen, den wir zu Testzwecken an eine Mauer gefahren haben.«
Dieses Auto stand hinten in einer Ecke des Hangars. Es war fast nichts zu erkennen.
Keijo griff nach einem Schraubenzieher und schabte an der hinteren Stoßstange ein Loch aus. Das Material war durch und durch so gefärbt wie an der Oberfläche. Er hob eine lose Stoßstange auf und reichte sie Angelo. Sie war überraschend leicht.
»Vorläufig nur noch viel zu teuer«, sagte Keijo. »Aber es läßt sich bei fortschreitender Technologie noch sehr viel billiger machen. Wir hoffen, unsere amerikanischen Partner beteiligen sich an der Weiterentwicklung.«
Angelo hütete sich, ihm zu sagen, daß Bethlehem-Motors nicht annähernd in der Lage war, irgendwelche Investitionen zu tätigen. Jedenfalls nicht, solange der neue Wagen nicht einen respektablen Marktanteil errungen und satten Gewinn eingefahren hatte. Falls überhaupt.
1978
1
Es war schwierig für die Hardeman-Familie, zu entscheiden, ob man eine große oder überhaupt eine Festlichkeit zum 100. Geburtstag von Loren Hardeman dem Ersten, genannt Nummer eins, ausrichten sollte. Er war mittlerweile doch schon sehr geschwächt und sank unübersehbar immer stärker dem ewigen Schlaf entgegen. Andererseits war er trotzdem noch gelegentlich zu Wutausbrüchen imstande, deren Zielscheibe jeder sein konnte, der ihm nicht ausreichend devot erschien oder nur ungenügend interessiert an dieser Festlichkeit zu seinem Hundertsten.
Es war Roberta, die schließlich die Entscheidung traf. Jawohl, gefeiert sollte werden, aber nur im engen Familienkreis mit einem Dinner, allein mit Loren und ihr selbst, Prinzessin Anne Aljechin, Betsy und ihrem Sohn Loren van Ludwig.
Anne, die Prinzessin, machte sich nicht einmal die Mühe, die Einladung zu beantworten. Betsy kam jedoch aus London, konnte nur ihren Sprößling nicht mitbringen, weil er gerade die Masern hatte. Sagte sie jedenfalls. Die feiernde Familienrunde, die sich am Festabend um die Tafel versammelte, bestand also genau aus Nummer eins, Nummer drei, Roberta und Betsy. Vier Personen. Eine gewaltige Festversammlung.
Der Alte saß in einem steifen, grauen Anzug am Tisch, mit weißem Hemd, rot-blau gestreifter Krawatte und mit seinem unvermeidlichen Panamahut auf dem kahlen Schädel. Betsy hatte noch bis kurz zuvor ein wenig Tennis gespielt und war deshalb der Einfachheit halber und weil es ja kein so großes Ereignis war, noch im Tennisdreß. Roberta trug ihre geliebten Stretchhosen, diesmal creme-weiß, mit einer langärmeligen Silberlame-Bluse dazu. Loren
hatte sich in einen blauen Blazer zur weißen Segeltuchhose geworfen und fühlte sich in diesem Aufzug sichtlich unbehaglich.
Bethlehem-Motors hatte immerhin eine Pressemitteilung herausgegeben, in der bekanntgemacht wurde, daß Loren Hardeman der Erste, Gründer des berühmten Werks, am Dienstag bei voller Gesundheit und geistiger Frische seinen hundertsten Geburtstag feiern könne. Das hatte zwei Waschkörbe voller Pflicht-Briefe und -Telegramme mit Glückwünschen nach sich gezogen, die jetzt neben der Tafel standen. Nummer eins warf achselzuckend einen gleichgültigen Blick darauf und wollte keinen einzigen lesen.
Da übernahm es Loren, ihm wenigstens einen vorzulesen, den von Jimmy und Rosalyn Carter aus dem Weißen Haus.
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