Der Clan
Nummer eins hörte es sich an, sein Kopf wackelte wie jetzt immer, und als ihm Loren das wertvolle Schreiben mit Wappen und Prägung reichte, winkte er ab und krächzte: »Peanuts.«
Anschließend wischte er alle Versuche Lorens vom Tisch, ihm nun auch noch die Gratulationsschreiben der Bosse der ganzen Automobilbranche vorzulesen. »Erspare mir den langweiligen Quatsch. Ist doch sowieso alles nur pro forma und aus Pflicht. Von allen diesen Kerlen habe ich doch schon deren Großväter überlebt.«
Er trank wie eh und je seinen gewohnten und ihm schon seit Jahrzehnten verbotenen Canadian Whisky und schickte noch einen knurrigen Kommentar hinterher: »Wozu der ganze Aufwand?«
Das Festdinner war von einem Party service bestellt und geliefert. Nummer eins waren längst so viele Speisen verboten, daß es schon seit Jahren keinen Sinn mehr hatte, daß er einen Koch beschäftigte. Er ernährte sich ausschließlich von der faden Krankendiät, wie sie ihm seine Pflegerin jeden Tag vorsetzte. Heute abend allerdings waren ihm zur Feier des Tages sogar Palmenherzen, kalifornische Makrele und ein gekühlter Rotwein erlaubt worden.
Als sie gegessen hatten und der Tisch abgeräumt war, wurde Cognac serviert. Erst danach ergriff Nummer eins das Wort.
»Ich habe etwas zu sagen«, erklärte er. Er fuhr seinen Rollstuhl etwas zurück und blickte stumm über den ganzen Tisch, um jedes einzelne Mitglied seiner Familie, jedenfalls soweit anwesend, eingehend zu fixieren. Dann begann er. »Es war, glaube ich, Maurice Chevalier, der einmal sagte, das einzige, was noch schlimmer sei als ein sehr hohes Alter zu erreichen, sei die Alternative dazu. Falls jemand von euch den Ehrgeiz haben sollte, es mir gleichzutun, was das hohe Alter angeht, kann ich nur nachdrücklich abraten. Es lohnt sich nicht.«
Dann wurde er konkret. »Loren, dieses Auto, das Perino uns da bastelt, ist schlicht und vulgär Scheiße. Das Ding wird ausschauen wie eine Erdbeerschachtel. Wie ein Modell A. Gut, vielleicht fährt es ja, wenn wir Glück haben. Aber kein Mensch wird es kaufen. Weil es einfach keinen modernen Look hat. Denk immer daran, einen Stude-baker kannst du heutzutage nicht mehr kaufen, auch keinen Packard oder Hudson. Aber einen Sundancer noch. Weil ich nämlich Köpfchen genug hatte, immer noch ein paar neue junge Leute mit Pfiff dranzulassen. Verdammt, ich habe schließlich schon Autos gebaut, als noch nicht mal Perinos Vater auf der Welt war.«
Nun kamen die Anordnungen. »Roberta, du sorgst dafür, daß Loren das Rückgrat steif hält. Ich weiß, du paßt schon auf, daß er an einer anderen Stelle steif bleibt, aber das meine ich jetzt nicht. Sondern eben sein Rückgrat. Das muß steif bleiben.«
Er wandte sich an Betsy. »Betsy, dir habe ich etwas Spezielles mitzuteilen, aber das will ich unter vier Augen tun. Laß der Schwester eine Viertelstunde Zeit, mich ins Bett zu schaffen, und dann komm hinauf zu mir.«
Loren sah ihm versonnen nach, als ihn die Pflegerin davonrollte, dann drehte er sich zu Betsy herum. »Der reißt dir den Kopf runter.«
Betsy griff gelassen zum Cognac. »Da wäre ich nicht so sicher, wenn ich du wäre.«
2
Nummer eins saß, gestützt von vier Kissen im Rücken, aufrecht in seinem Bett. Man hatte ihm einen blau-weiß gestreiften Schlafanzug angezogen. Betsy sah jetzt, warum er ständig seinen Panamahut aufhatte. Weil er gerade noch ein paar weiße Härchen ringsherum auf dem sonst kahlen Kopf hatte, der voller Leberflecken war und ihn so noch älter als seine ohnehin hundert Jahre aussehen ließ.
Ihr kurzes weißes Tennisröckchen und die Tennisschuhe sahen hier in diesem pompösen schweren Zimmer, das ja aller Voraussicht in absehbarer Zeit auch sein Sterbezimmer werden würde, ziemlich fehl am Platze aus. Aber es schien ihn nicht weiter zu stören, und auch sie setzte sich nur demonstrativ aufrecht zurecht und stützte die Hände in die Hüften, nachdem sie noch tief Luft geholt hatte.
Nummer eins deutete auf ein Gerät auf einem Tisch neben seinem Fernseher vor dem Bett. »Meinst du, du weißt, wie man mit dem Ding umgeht?« fragte er.
Betsy warf einen kurzen Blick auf den Videorecorder, der dort stand. Sie hatte schon zwei oder drei von den Dingern gehabt, mit denen man neuerdings Fernsehsendungen aufzeichnen und nach Belieben wieder abspielen konnte. Sie besah ihn sich kurz und nickte dann.
»Gut«, sagte Nummer eins. »Dann zieh mal dieses große Wörterbuch dort aus dem Regal.«
Als sie es tat, kam
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