Der Clan der Wildkatzen
vorwurfsvoll » Eidechs!« zu ihr.
Daraufhin spielte sie ohne große Leidenschaft mit ihrem Ball. Als die Großfüße heimkehrten, fanden sie das Kätzchen in einer Ecke liegend vor. Mara protestierte nicht, als man sie mit großem Getue aufhob, knuddelte und schließlich auf ihre Decke legte, weil man sie für krank hielt.
Das Kätzchen lauschte dem Regen und fragte sich, ob Beraal sie wohl bald besuchen würde. Wenn der Regen nicht so bald aufhörte, würde die große Katze dann vielleicht tagelang fortbleiben? Mara rollte sich tiefer in ihre Decke und dachte an Beraal und die anderen Katzen, die ihre Lehrerin erwähnt hatte– Miao und Hulo, Katar und Southpaw.
Von ihrem eigenen Clan hatte Mara nur noch verschwommene Bilder im Kopf. Sie erinnerte sich an wimmelnde Leiber, an den Genuss warmer Milch, daran, wie eine raue Zunge liebevoll über ihre noch geschlossenen Augen geleckt hatte. Das war so anders gewesen als hier bei den Nizamuddin-Katzen, denn außer von Beraal schlug ihr über die Verbindung nur Misstrauen und Abneigung entgegen. Sie konnte das Unbehagen der anderen Katzen riechen, und seit es ihr einmal aufgefallen war, hatte sie immer seltener und seltener die Verbindung aufgebaut. Stattdessen beobachtete sie lieber Eichhörnchen und Vögel.
Mara putzte sich und versuchte ein wenig zu schlafen, doch ihre Gedanken gingen immer wieder auf Wanderschaft. Blitz und Donner machten ihr Angst und erinnerten sie daran, was für ein dunkler Ort voller unbekannter Gefahren die Welt außerhalb des Hauses doch war. Das Kätzchen fragte sich, wie es wohl wäre, wenn man einen Freund hätte, der nicht nur » Eidechs« sagen könnte und der nicht nur zu ihr kam, weil sie der Sender war. Am liebsten hätte sie einen Freund gehabt, an den sie sich hätte ankuscheln können– einen Freund, der so wie sie ein Kätzchen war.
In diesem Moment klapperte auf einmal der Plastikeimer mit den Spielzeugen in der Zimmerecke und fiel um. Mara schlug die Augen auf und starrte das gestreifte braune Kätzchen an, das in den Eimer gesprungen war.
Dann schloss sie die Augen wieder. Beraal hatte ihr gesagt, als Sender müsse man lernen, nicht nur seine Begabung zu beherrschen, sondern auch seine Fantasie. Für Mara war klar: Sie hatte sich so sehr einen Freund gewünscht, dass sie sich einen eingebildet hatte.
» Tut mir leid!«, miaute die Fantasiekatze. » Ich wollte das nicht umstoßen… Ähm, hören deine Großfüße das jetzt und kommen, um mich zu verhauen oder so was? Ich wollte sowieso gerade gehen, ich weiß nur nicht, wie ich hinauskomme. Äh, oder wo. Ich war vorher noch nie in so einem Haus.«
Mara glotzte das eingebildete Kätzchen an, das viel echter aussah, als sie es von einem Wesen erwartet hätte, das nur in ihrem Kopf existierte. Der kleine Kater hatte das schmuddeligste Fell, das sie je gesehen hatte, und sein braunes Haar war voller Dreck, sodass eine unvorstellbare Menge Rinde und Regen auf ihrem Teppich landeten.
» Das sehe ich«, sagte sie und zog die Schnurrhaare scharf nach oben, während sie den Rücken leicht bedrohlich zum Buckel wölbte. » Du musst eine Draußenkatze sein. Wie bist du hereingekommen?«
Southpaw wich der Frage zunächst aus, weil er etwas anderes gestehen wollte. » Außerdem habe ich das Futter in der Schüssel dahinten gefressen. Tut mir leid. Ich war am Verhungern. Ich… äh… kann dir eine Ratte fangen und sie dir morgen bringen.« Er bemerkte den Buckel des Senders und hoffte, er würde nicht gegen die kleine Katze kämpfen, oder schlimmer, sich ihr unterwerfen müssen. Als Eindringling mahnte ihn der Instinkt, höflich zu sein, doch den Gedanken, sich auf den Rücken zu rollen und die Kehle diesem winzig kleinen orangenen Knäuel zu entblößen, fand er überaus demütigend.
Mara hüpfte vom Bett und kam steifbeinig auf ihn zu.
Southpaw senkte den Kopf und schaute sie aus dem Augenwinkel an. Hoffentlich würde sie nicht fauchen und schreien. Ein richtiger Kampf erschien ihm als der bessere Weg, diese Angelegenheit zu klären.
Mara streckte eine Pfote aus und pikte ihn vorsichtig in die linke Flanke.
» Miau!«, heulte er und vergaß die Großfüße.
» Du bist ja tatsächlich echt«, sagte sie.
» Das war ja wohl nicht notwendig– natürlich bin ich echt, was hast du denn gedacht? He, was machst du denn da? Hör auf!«
Doch Mara schnüffelte neugierig an ihm. Da er in ihr Revier eingedrungen war, brauchte sie nicht höflich zu sein, und die Gerüche, die von
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