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Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Titel: Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Vögeln, wenn sie sich satt gefressen hatten. Nicht umsonst wurden Raben auch „Wolfsvögel“ genannt, weil sie beharrlich den Rudeln folgten.
    Während Faolan den Kadaver über die Ebene schleifte, schoss ihm eine Idee durch den Kopf. Er dachte an die klaren Sommernächte, als Donnerherz ihm Geschichten über die Sternbilder erzählt hatte. Vor allem erinnerte er sich an die Nacht, in der sie von Ursulana, dem Bärenhimmel, gesprochen und dabei auf das Sternbild des Großen Bären gezeigt hatte. Dorthin, so glaubte sie fest, war der Geist ihres getöteten Jungen gegangen. Seit er die Bilder in der Höhle gesehen hatte, glaubte Faolan, dass es eine solche Zuflucht auch für Wolfsgeister geben müsse. Wenn es aber einen Himmel für Bären und Wölfe gab, warum nicht auch für Rentiere? Der Gedanke beflügelte seine Schritte.
    Einer der Raben schoss dreist auf den Rentierkadaver zu. Wütend sprang Faolan hoch und schnappte den Vogel einfach aus der Luft. Die anderen Raben erstarrten vor Schreck mitten im Flug. Noch nie hatten sie einen Vierbeiner so hoch springen sehen. Faolan tötete den Raben sofort. Die anderen erholten sich nach einem kurzen Moment von ihrem Sturzflug, der beinahe tödlich ausgegangen wäre, und flogen davon. Faolan sah sie nie wieder.
    Eigentlich wollte er den Rentierkadaver zum Steilufer des Flusses schleppen. Es lag weit genug von den Fischgründen entfernt, die hungrige Tiere in der Laichzeit aufsuchten, und dort zogen auch keine Rentierherden vorbei. Solche Knotenpunkte lockten nur Räuber an, die es auf Elche, Rentiere, Rotwild und Moschusochsen abgesehen hatten. Faolan schwor sich, dass kein Tier diese Knochen entweihen sollte, solange noch Fleisch an ihnen war. Er würde von dem Kadaver abfressen, so viel er konnte, und die Knochen verstecken.
    Endlich fand er einen guten Platz über einem tiefen Flussabschnitt. Unter der stillen Wasserfläche verbargen sich reißende Strömungen, sodass es für wandernde Herden gefährlich wäre, an dieser Stelle hinüberzuschwimmen. Außerdem hatte Faolan nicht die geringste Duftspur aufgefangen. Fuchsfamilien hielten sich fern, weil sie vermutlich befürchteten, ihre Jungen könnten über die Böschung purzeln. Vielfraße nisteten sich eher am Fuß eines steilen Bergsturzes oder ganz oben in einer Geröllhalde ein. Diese Tiere waren sehr geschickt darin, geschützte Räume zwischen den Felsen aufzuspüren. Marder und Wiesel hausten im tiefen Wald. Der Platz hier war perfekt.
    Faolan knurrte der Magen, nachdem er das Rentier so lange mitgeschleift hatte, und er nagte es bis auf wenige Knochen ab. Sogar die Haut schabte er sauber und rollte sich zum Ausruhen darauf ein. Das Licht verharrte noch kurz vor der Dämmerung, während der Mond wie ein Geist im Osten aufging und die Sonne im Westen verschwand. Dann breitete die Nacht ihre Flügel aus und färbte die Luft zuerst hellviolett, dann dunkellila und schließlich schwarz. Am Himmel gingen die Sternbilder auf, Faolan legte den Kopf zurück und begann zu heulen. Mit seinem Gesang rief er die Sterne an:
    Oh zeige mir die Zuflucht am Himmel
    für die edle Rentierkuh.
    Zeige mir den Sternenpfad,
    den sie gehen muss.
    Ihr Weg ist der Weg der Ehre.
    Sie ist ein Rentier.
    Ich bin ein Wolf.
    Ich lebe, weil sie starb.
    In dieser silbrigen Sternennacht
    verneige ich mich vor ihrer Güte.
    Ich bitte dich – zeige mir den Weg,
    damit ihre Knochen die letzte Ruhe finden.
    Faolan heulte bis tief in die Nacht hinein. Kein Windhauch regte sich und endlich sah er die Geweihstangen des Rentiersternbilds – nicht am Himmel, sondern als Spiegelung im mondblanken Fluss. Die Wasserfläche kräuselte sich leicht, Faolan trat näher ans Ufer und schaute hinab. Sein Herz raste vor Freude, als das Sternbild aufging. Langsam erkannte er darin die vertrauten Umrisse eines Rentiers – zuerst das Geweih, dann den Kopf, der von den hoch aufragenden Geweihstangen fast erdrückt wurde. Sein Blick folgte der leichten Vertiefung der Halslinie, die sogleich wieder zu dem fleischigen Buckel über den Schultern anstieg. Allein für die Umrisse der großen Hufe waren sechs Sterne nötig. Erneut begann Faolan zu heulen.
    Folge dem Sternenrentier!
    Folge ihm zum Geisterhimmel.
    Finde deine Mutter, die im Winter starb,
    deinen Vater, den ein Bär zerfetzte.
    Schließe dich der Geisterherde an,
    die dich erwartet
    in sternfunkelnder Nacht!
    Als er geendet hatte, blickte er auf die sauber abgenagten Knochen hinunter, die sanft im Mondlicht

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