Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
das Bild zum ersten Mal gesehen hatte, brannte er darauf, mit diesen Wölfen zu laufen, seinen Platz in dieser Einheit einzunehmen. Und wenn sie ihn nun zurückwiesen?
Andererseits wollte er zu Donnerherz zurück. Konnte er in beiden Welten leben – in der Welt seiner geliebten Bärenmutter und bei den Wölfen? Dass Donnerherz tot sein könnte, war inzwischen undenkbar für ihn. Diese Möglichkeit hatte er längst aus seinem Kopf verbannt. Deshalb hatte er auch nie den Blick auf dem Großen Bären ruhen lassen, während er den Himmel nach dem Sternbild des Rentiers abgesucht hatte. Vielleicht war es selbstsüchtig, aber Donnerherz fehlte ihm so sehr – beim Jagen und Fischen und nachts im Bau. Er konnte die Vorstellung einfach nicht ertragen, dass sie ganz von dieser Welt gegangen war. Der Weg nach Ursulana war so weit! Donnerherz hatte Ursulana als „Himmel“ bezeichnet, aber für Faolan war es eher die Dunkelwelt.
Auf jeden Fall musste er fort, bevor der Horizont die letzten Sternspitzen des Rentiergeweihs verschluckte. Widerstrebend machte er sich auf den Weg und ging in die Richtung, aus der der Fluss kam. Nur einmal drehte er sich zum Knochenhügel um, der im Mondlicht glitzerte.
Dann umrundete er eine Flussbiegung und fand bald eine Stelle, an der er den Fluss überqueren konnte. Als er auf der anderen Seite an der Uferböschung hinaufkletterte, fing er einen vertrauten Geruch im Flusswind auf und begann zu laufen. Das Wasser brodelte nur so vor silbrigen Fischleibern in der Morgensonne. Die Zeit des Lachslaichens war gekommen und direkt vor ihm lagen die Stromschnellen, in die er mit Donnerherz hineingewatet war und gefischt hatte. Plötzlich entdeckte er einen fremden Grizzly, eine Bärin mit drei Jungen, und erstarrte. Die Jungen bemerkten ihn nicht, aber die Mutter beäugte ihn misstrauisch. Faolans Herzschlag setzte kurz aus. Eine seltsame Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung erfüllte ihn. Enttäuschung, weil nicht seine geliebte Donnerherz vor ihm stand. Erleichterung, weil er den Gedanken nicht ertragen hätte, dass Donnerherz neue Junge aufzog, die sich, so wie er einst, an ihr großes, dröhnendes Herz schmiegten.
Die Bärin stieß ein leises, warnendes Fauchen aus. Faolan nahm den Schwanz herunter und zog den Kopf ein, um ihr zu zeigen: Keine Angst, ich werde deinen Jungen nichts tun. Die Bärin verstand ihn sofort, blinzelte aber verwirrt. Einen Augenblick war Faolans leichte Kopfbewegung so typisch „Bär“ gewesen, dass sie ins Grübeln kam, ob der Wolf womöglich ein Bär war, auch wenn er nicht so aussah.
Faolan hatte lange keinen Lachs mehr geschmeckt, aber er war so niedergeschlagen, dass ihm der Appetit verging. Mehr denn je sehnte er sich nach Donnerherz. Zumindest wusste er jetzt, dass er wirklich in die Hinterlande zurückgekehrt war. Hierher gehöre ich , dachte er. Ich bin ein Wolf der Hinterlande. Aber sein Herz machte keinen Freudensprung dabei.
Einen Tag und zwei Nächte wanderte er weiter. Hin und wieder hörte er jetzt das ferne Heulen von Wölfen, das ihm ein bisschen Angst machte, obwohl er sich doch so sehr danach gesehnt hatte. Er verstand sie, aber sie erinnerten ihn daran, dass er anders war. Die Verwirrung der Grizzlybärin, die ihn am Fluss angeblinzelt hatte, war ihm nicht entgangen. Was bist du?, hatte sie ihn stumm gefragt.
Er selbst hatte sich diese Frage oft genug gestellt. In gewisser Weise war er ein Wolf, aber würden ihn die anderen Wölfe akzeptieren? Je weiter er wanderte, desto unsicherer wurde er.
Bald sah er die Zeichen der Verwüstung, die das Erdbeben hinterlassen hatte. Selbst der Flusslauf hatte sich verändert, denn jetzt gingen viele Bäche von ihm ab, die vorher nicht da gewesen waren.
Faolan wusste instinktiv, dass der Sommerbau, den er mit Donnerherz bewohnt hatte, von einem dieser zahllosen neuen Bäche überflutet worden war, denn es war nichts mehr davon zu sehen. Das Erlendickicht war halb im Wasser versunken. Nirgendwo entdeckte er Gletscherlilien, geschweige denn das blaue Irisgesprenkel. Und doch hatte der Wald etwas Vertrautes, das ihm das Herz schwermachte, als die frühen Erinnerungen an Donnerherz in ihm aufstiegen.
Faolan wollte gerade ins Flachwasser eines Baches waten, als sein Blick auf einen blank polierten schwarzen Stein fiel, der im Sonnenlicht aufblitzte. Er senkte den Kopf und stupste ihn mit der Schnauze an. Der Stein gefiel ihm. Und dann entdeckte er die Spirallinien darauf, dasselbe Muster, das er an
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