Der Club der Gerechten
Augen schweiften von Jagger zu der einsamen Glühbirne über ihm.
Gewinnst du, bist du frei. Verlierst du, bist du tot.
Und wenn das Licht ausging ...
Jeff wusste, was geschehen würde, wenn das Licht ausging. Die schreckliche, erstickende Dunkelheit würde ihn einschließen, und was immer sich in dieser Dunkelheit verbarg, würde wieder auf ihn zukriechen.
Lautlos wiederholte er für sich die Worte: Willkommen beim Spiel. Gewinnst du, bist du frei.
Verlierst du, bist du tot.
11. Kapitel
Keith Converse fühlte sich, als habe er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Den Abend vorher hatte er allein verbracht, was keine gute Idee gewesen war. Er hatte fast einen Viertelliter Scotch konsumiert – nicht den guten, den er und Mary immer für Gäste bereitgehalten hatten. Es war das billige Zeug gewesen, das er im Haus hatte, wenn ihm nach der Arbeit nach einem Drink zumute war. Der Whisky brannte und kratzte so im Hals, dass er bis zum vergangenen Abend nie mehr als ein oder zwei Glas hatte trinken können und für gewöhnlich den Rest des zweiten dann wegschüttete. Gestern Abend jedoch hatte er nichts weggeschüttet. Er hatte einfach weiter getrunken und gehofft, der Alkohol werde irgendwann das Bild des verbrannten Leichnams in ihm auslöschen, den er gesehen hatte.
Des Leichnams, von dem jeder ihm sagte, es sei der seines Sohnes.
Den ganzen Abend, während er dagesessen, getrunken und versucht hatte zu vergessen, musste er immer wieder an das denken, was Mary gesagt hatte: »Er ist tot, Keith ... Jeff ist tot, und du musst dich damit abfinden.«
Doch alles, was er sah, egal wie viel Scotch er hinunterwürgte, war das Stück Haut, das am Morgen unversehrt und am Nachmittag so schlimm verbrannt gewesen war, dass man kein Tattoo gesehen hätte, selbst wenn eins da gewesen wäre.
Irgendwann nach Mitternacht hatte er sich gezwungen, ins Bett zu gehen, aber das Stück unversehrter Haut blieb ihm so deutlich im Gedächtnis, als werde es von irgendwo her angestrahlt. Das Stückchen Haut, wo das Tattoo sein sollte.
Als die Sonne aufging, gab Keith den Versuch zu schlafen auf. Er versuchte den Kopf mit einer kalten Dusche klar zu bekommen, doch seine Zweifel waren zu absoluter Sicherheit erstarrt.
Der Tote, den sie ihm gezeigt hatten, war nicht Jeff.
Was also war passiert?
Handelte es sich um einen Irrtum?
Konnten sie ihm den falschen Leichnam gezeigt haben?
War es möglich, dass im Leichenschauhaus ein zweites Brandopfer aufbewahrt wurde? Während die Kaffeemaschine summte, ging Keith in den winzigen Alkoven des Wohnzimmers, der sein Büro war, und loggte sich im Internet ein. Er suchte überall, wo er nur konnte, überprüfte die Archive jeder Agentur in der Umgebung. In der letzten Woche war in ganz New York nur eine Person bei einem Brand gestorben.
Jeff.
Also hatten sie ihm nicht den falschen Leichnam gezeigt.
Was ging da vor?
Er trank drei Tassen Kaffee, während in seinem hämmernden Schädel das Für und Wider tobte. Mary musste Recht haben – er weigerte sich einfach, die Realität anzuerkennen und griff nach jedem Strohhalm, gleichgültig wie dünn er sein mochte. Aber egal, wie sehr er es auch versuchte, eine innere Stimme beharrte darauf, dass etwas nicht stimmte, dass es nicht Jeffs Leichnam gewesen war, den er im Leichenschauhaus gesehen hatte, gleichgültig wie unmöglich das zu sein schien.
Wieder im Truck und wieder auf der Schnellstraße, raste er zurück in die City. Diesmal fuhr er jedoch nicht zum Büro des Rechtsmediziners, sondern zum Polizeirevier in der Elizabeth Street.
Er parkte in einer Garage im Block nördlich des Polizeigebäudes und ging auf einem Gehsteig nach Süden, auf dem sich schon um neun Uhr morgens die Menschen drängten. Grüne Zwillingskugeln kennzeichneten das Gebäude. Abgesehen davon war es ein völlig unscheinbarer, schmutzig weißer Bau, auffällig nur durch die zweiflügelige Eingangstür, die in einem so verwaschenen Blau gestrichen war, dass Keith sich fragte, ob ein Farbenblinder diesen Ton gewählt hatte oder – und das war wahrscheinlicher – ob die Stadt billig den Restposten einer Farbe eingekauft hatte, die keiner sonst haben wollte. Die blaue Tür stand offen, er ging hindurch und kam in einen kleinen Vorraum und zu einer inneren, bis zur Hälfte verglasten Eichentür, wobei er sich automatisch nach Metalldetektoren umsah, die in fast jedem offiziellen Gebäude standen, das er seit dem Morgen, an dem Jeff verhaftet worden war, betreten
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