Der Club der Teufelinnen
das herzliche, warme und offene Wesen ihres Sohnes, das so ganz anders war als die zurückhaltende Art seines Vaters und seines älteren Bruders.
»Hast du deinen Bruder schon gesehen?« Eigentlich wollte sie sich auch nach Aaron erkundigen, hielt sich aber zurück.
»Aber sicher. Wir beide haben gestern abend noch einen drauf gemacht und waren ziemlich voll. Das mußte einfach sein. Ein Glück, daß ich kein Examen machen muß. So was überlebt man nur einmal. Und in der Werbung bräuchte ich es sowieso nicht.«
Annie mußte lächeln. Auch wenn Aaron ausgesprochen wütend über den Studienabbruch gewesen war, so wußte sie doch, daß er im Grunde stolz und froh war, daß Chris in seine Firma eingetreten war. Er arbeitete jetzt vor allem mit Jerry Loest zusammen, Aarons Firmenpartner, und er machte sich sehr gut dabei.
»Und wo sind die beiden anderen?« Annie tat ihr Bestes, um möglichst beiläufig zu klingen.
»Pa ist mit irgendeiner Überraschung zugange, und Alex sitzt im Whirlpool, um wieder klar zu werden. Um sieben sollen wir uns alle in der Lobby treffen. Pa hat eine Party organisiert, von Alex kommen jede Menge Freunde, und Oma und Opa Paradise sind auch dabei. Sie haben Suite 502.« Er verdrehte bedeutungsvoll die Augen.
Annie wies ihn mit einem Kopfschütteln sanft zurecht. Aarons Eltern waren etwas schwierig und sehr formell. Es wunderte Annie, daß sie überhaupt jetzt, während der Saison, Newport verlassen hatten. Mit einem Seufzer verabschiedete sie jede Hoffnung auf ein vergnügliches Abendessen.
»Ist das dein Gepäck?« Chris griff nach ihrem Vuitton-Koffer. »He, was hast du da drin? Willst du dich hier für immer niederlassen oder schleppst du Goldbarren zur Körperertüchtigung?«
An der Rezeption in der marmorgefliesten Lobby trug sich Annie ein. Als sie ihre Kreditkarte vorwies, winkte der Rezeptionist ab. »Das ist bereits geregelt, gnädige Frau. Mr. Paradise hat angeordnet, daß alles auf seine Rechnung geht.«
Annie nickte. Wie reizend von Aaron. Wieder durchflutete sie eine Welle der Hoffnung. Ein Page nahm Chris ihre Reisetasche ab.
»Also, Ma, ich schau mal bei Alex vorbei und zieh mich dann um. Wir sehen uns dann hier in einer Stunde, okay?«
Als er davonging, schaute Annie hinter ihm her und wunderte sich wieder einmal über seine Größe, seine weiten Schritte und die breiten Schultern. Sie wollte gerade dem Pagen in den Lift folgen, als er zurückgestürmt kam. »Ma, fast hätte ich vergessen zu fragen, ob mit dir alles in Ordnung ist …« Er wußte nicht weiter, so daß sie lachen mußte.
»Dann frag mich doch.«
»Ich weiß, daß es ihr letzter Tag zu Hause ist, aber könnte ich Sylvie am Montag einladen? Du siehst sie ja sonst immer, und ich habe es ihr schon längst einmal versprochen.«
Annie hatte sich sehr auf diese letzten Tage gefreut, die sie mit Sylvie allein sein konnte. Aber Sylvie war so gerne mit Chris zusammen. »Natürlich kannst du das. Sie wird sich riesig freuen.«
»Super.« Und schon war er wieder weg. »Bis in einer Stunde.« Annie konnte es kaum glauben, aber schon dieses kurze Zusammentreffen belebte sie geradezu. Es war kaum zu fassen, daß dieser junge Mann ihr Sohn war.
Das Zimmer war sehr angenehm, ganz wie es sich für dieses wirklich erstklassige Hotel gehörte. Das Fenster bot eine umwerfende Aussicht über die Boston Common und die Newbury Street, und auf einem Tischchen stand ein herrlicher Strauß aus blauem Rittersporn und rosa Rosen. Ein Umschlag steckte zwischen den Blüten. Annie zögerte kurz, bevor sie ihn hervorzog. Dann riß sie ihn kurzentschlossen auf. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute zur Feier von Alex' Examen. Die Großeltern Paradise. Hatte sie etwas anderes erwartet? Tief in ihrem Innern mußte Annie diese Frage bejahen. Schnell ging sie ans Auspacken. Das Gaultier-Modell würde sich heute gut machen.
Anschließend nahm sie ein entspannendes Bad. Die Wanne war so groß, daß man sich treiben lassen konnte, und genau das tat sie, voller Genuß, die Augen geschlossen. Seit Wochen das erste Mal wieder total entspannt.
Sie rekelte sich im Schaum. Dr. Rosen, ihre Therapeutin, hatte ihr einige Entspannungsübungen beigebracht, die sie jetzt anwandte. Erinnerungsfetzen tauchten auf. Aaron, wie er sie angestarrt hatte, damals, als sie sich kennenlernten. Chris und Alex, wie sie sich auf dem Rasen vor ihrem Sommerhaus in Amagansett balgten. Sylvies Gesicht heute morgen, als Annie sich von ihr verabschiedete. Dann
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