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Der Club der Teufelinnen

Titel: Der Club der Teufelinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goldsmith Olivia
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Was war doch noch das letzte, an das sie sich erinnern konnte? Ach ja, das Begräbnis. Cynthia Griffin. O Gott. Die Nadel stach heftiger denn je, so, daß ihre Augen zu tränen begannen. Sie wollte die Tränen wegwischen, unterließ es aber, da jede Bewegung sich rächen würde. Die Nadel war gnadenlos. Sie atmete ganz flach und vorsichtig, ängstlich jede Bewegung vermeidend. Bald würde Chessie hereinkommen und ihr behilflich sein, wieder einen neuen Tag zu beginnen.
    Und da fiel ihr mit einem Schlag alles wieder ein. Bemelman's. Elise zuckte mit den Schultern. Ein rasender Schmerz jagte durch ihr Auge bis in die Stirn. Der Schmerz ließ sie aufstöhnen, und auch die Erinnerung. Oh, du lieber Gott!
    Es war gewiß nicht das erste Mal, daß jemand von diesen kleinen Filmschwärmern sie erkannt und umschmeichelt hätte. Und sie war immer sehr zuvorkommend gewesen. Zuvorkommend, aber nicht familiär, ganz so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Immer war sie ganz Lächeln und Dankeschön, ließ sich aber nie zu einem Autogramm oder Foto herab. Bis zum gestrigen Tag. Wieder stöhnte sie. Mein Gott. Langsam tauchte die Erinnerung auf.
    Groß, schlank, in dieser Kombination aus Jeans und Tweedjackett, die die heutigen jungen Männer zu bevorzugen schienen, so wie es früher die schwarzen Pullover gewesen waren, die Gerard und seine Freunde Anfang der Sechziger getragen hatten. Worüber hatten sie gesprochen? Über ihre Filme, die guten. O ja, er hatte gut Bescheid gewußt. Auch über Truffaut und Godard. Sie hatte einen Blick auf seine Hände geworfen. Es waren große Hände mit langen Fingern. Junge, starke Hände. Sie hatte noch einen Courvoisier bestellt oder auch zwei, und dann war er aufgestanden mit einem »Danke schön«. Und: »Ich möchte Ihre Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Bislang habe ich Sie immer bewundert. Jetzt bete ich Sie an.« Das war eine Passage aus Weg durchs Dunkel. »Je t'adore«, hatte er noch hinzugefügt.
    Da war ihre Haltung wie fortgeblasen gewesen. In aller Öffentlichkeit. Und alles andere als leise. Und das auch noch vor Maurice. Alles nur wegen eines freundlichen Wortes. Sie erinnerte sich an den kühlen Blick ihrer Mutter mit der leicht erhobenen Braue: »Pas avant les domestiques.«
    Erbärmlich hatte sie sich aufgeführt, schamlos. »Bitte, lassen Sie mich nicht allein. Lassen Sie nicht zu, daß man mich so sieht.« Was war dann gewesen? Der Gang durch die Halle, die Bank in der Lobby, dann nach oben, und dann … O Gott, übel war ihr geworden, und er hatte sich um sie gekümmert. Und dann?
    Wie eine Woge brach die Erinnerung an den weiteren Verlauf des Geschehens in Zimmer 705 über sie herein. Bilder tauchten auf. Gefühle, seine Hände, die über ihre Brüste strichen, seine weiche Wange an der ihren, sein Gesicht, wie er sein Eindringen in sie beobachtete. Ein ihr unbekannter Mann, fast noch ein Junge, nicht einmal halb so alt wie sie.
    Wie hatte das nur passieren können? Wahrscheinlich war der Courvoisier schuld gewesen, so auf nüchternem Magen. Sie erinnerte sich, daß der junge Mann ihr angeboten hatte, sie nach Hause zu begleiten. Doch der Gedanke an Bill und die Möglichkeit eines Zusammentreffens in ihrem New Yorker Apartment, und das auch noch in ihrem Zustand, hatte sie davor zurückschrecken lassen. Statt dessen dann die alptraumhafte Fahrt durch den Feierabendverkehr hinaus nach Greenwich, heim zu Chessie …
    Es war nicht auszuhalten. Was wäre, wenn Bill … aber das war unvorstellbar. Der Schmerz war mittlerweile schier unerträglich geworden. Ihre Augen tränten ununterbrochen. Wenn sie doch nur einen Drink haben könnte. Dann wieder, entsetzt bei dem Gedanken an einen Drink um neun Uhr früh, betete sie geradezu darum, daß Chessie endlich käme.
    Was konnte sie bloß tun? Mit Onkel Bob sprechen? Er würde so sehr enttäuscht von ihr sein. Wie könnte sie ihm gestehen, daß sie eine Trinkerin war? Sollte sie in eine Klinik gehen? Allein der Gedanke … Achtundzwanzig Tage lang sich das Gejammere der anderen über ihre Probleme anhören müssen, sich selbst belügen und den anderen etwas vormachen, so tun, als ob sie wäre wie sie, versprechen, daß sie sich bessern werde, eine Therapie machen und nie, nie wieder trinken würde. Das würde nicht funktionieren. Sie war nicht wie die anderen. Sie war intelligenter, sah besser aus und war besser erzogen. Bei ihrer Geburt war sie das reichste Baby Amerikas gewesen. Jetzt war sie eine Alkoholikerin und

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