Der Code des Luzifer
Verletzungen waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Eins von Bobbys Surfboards war auf Bodenhöhe innen am Bus festgebunden und Sayid hatte es geschafft, sich nach und nach weiter dorthin zu schieben. Jetzt konnte er, den Rücken zum Fahrer gekehrt, trotz seiner gefesselten Hände die Zahlen aufschreiben, die er im Kopf hatte. In der winzigen Schrift waren sie kaum zu erkennen, nicht mal bei Tageslicht. Und die Gerätschaften, die Bobby im Bus verstaut hatte, interessierten sowieso niemanden.
Sayid konzentrierte sich. Erste Zeile waagerecht des magischen Vierecks: 11, 24, 7, 20, 3; dann links senkrecht: 11, 4, 17, 20, 23. Das waren Sayids Gedächtnisstützen. Mit ihrer Hilfe füllte er den Rest des Quadrates aus.
Auf diese Weise machte er ein Back-up auf seiner mentalen Festplatte. Sayid rollte sich auf seinem Arm zusammen. Die Zahlen, die er sich auf den Schuh geschrieben hatte, waren da, wo er sie brauchte, und für den Augenblick hatte er genug getan, um etwas schlafen zu können. Er musste so frisch sein wie möglich, wenn er aufwachte.
Das tat er schon nach wenigen Sekunden, wie er meinte, in Wirklichkeit aber eine Stunde später, als der Motor des Busses stotterte. Der Fahrer fluchte, schaute in den Seitenspiegel und schaffte es durch gutes Zureden noch ein paar Hundert Meter weiter. Sayid sah das matte Blinken der Kontrolllampe am Armaturenbrett. Der Kerl auf dem Beifahrersitz machte den Fahrer auf irgendetwas aufmerksam und rumpelnd rollten die Räder jetzt über den Seitenstreifen. Keine Minute später blieb der Wagen stehen. Die beiden Männer stiegen aus. Die Schiebetür ging auf und einer der Kerle kam zu ihnen herein. Sayidschaute weg, er wollte keinen Blickkontakt mit dem Mann. Der Handlanger des Hais trat Bobby mit dem Fuß.
»Steh auf! Was ist los mit der Karre?«
Bobby schlug die Augen auf; er sah mitgenommen aus. »Schon gut. Das krieg ich wieder hin. Es ist der Filter in der Einspritzdüse. Das passiert andauernd.«
»Dann raus mit dir! «
Der Mann drehte sich um und stieg wieder auf die Straße. Bobby, der genauso eingeschnürt war wie Sayid, rutschte herum, kam auf die Knie, stemmte sich mit dem Rücken gegen die Seitenwand des Autos und schob sich hoch. Als er sich mühsam aufrichtete, flüsterte er Sayid etwas zu. Bobby war hellwach, die Benommenheit war nur vorgetäuscht.
»Sayid, ich versuche abzuhauen, wenn ich kann. In Ordnung? «
Der Gedanke traf Sayid wie ein Schlag. Bobby verlieren? Mit den Gangstern allein zurückbleiben? Auch wenn sich der Amerikaner in den letzten Stunden kaum gerührt hatte, bedeutete es ihm sehr viel, dass sie hier, in dieser Situation, zusammen waren. Das wurde ihm jetzt klar. Ein schreckliches Gefühl der Einsamkeit ergriff Besitz von ihm. Trotzdem nickte er. Natürlich. Einer von ihnen musste es versuchen, wenn sich die Gelegenheit ergab.
»Ich hole Hilfe, Sayid. Ehrenwort. Und Peaches weiß nichts, ihr werden sie nichts tun. Ich hab sie in dem anderen Auto gesehen.«
»Ich kann dir vielleicht helfen«, hörte Sayid sich selber sagen und hatte zugleich Angst vor dem, was er ihm vorschlagen würde.
Bobby sah ihn fragend an.
»Ich lenk sie ab«, flüsterte Sayid.
»Hey, raus jetzt mit dir! Los!«, schrie der Gangster. Er hatte einen osteuropäischen Akzent.
Bobby nickte Sayid zu. »Gute Idee. Aber nicht zu früh. Gib mir Zeit«, flüsterte er, als er aus dem Auto stieg.
»Ich muss mal pinkeln«, rief Sayid. »Es ist schon Stunden her. Bitte.«
Er hörte seine Entführer murmeln, und dann drehte sich der, der ins Auto geklettert war, um, langte herein, packte Sayid und zerrte ihn grob in die Nachtluft. Sayid setzte sich auf den Rand der Trittstufe und versuchte sich zu orientieren. Sie hatten an einem erhöht liegenden Parkplatz haltgemacht, der aussah wie ein Picknick-Platz – Bänke und Tische und ein kleines rotes Backsteingebäude mit Toiletten. Am Wochenende diente er Leuten, die weite Strecken fuhren, als Rastplatz, jetzt aber war außer dieser Mörderbande niemand in Sicht. Sie hatten die anderen Autos hinter Bobbys Kleinbus geparkt. In einem sah Sayid vorn den Hai sitzen, der gerade etwas zu jemandem hinter ihm sagte. Die Tür glitt auf und ein dritter Mann trat zu den beiden aus Bobbys Auto hinzu.
Bobby hatte die Motorhaube schon aufgeklappt.
»Ich brauch meine Hände, wenn ihr nicht wollt, dass hier überall Diesel rumschwimmt«, sagte er und hielt einem der Männer seine gefesselten Arme entgegen.
Der Mann zog ein Messer hervor
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