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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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ein Seiltänzer. Seine Füße wirkten auf dem dunklen Grün ziemlich weiß. »Es ist aalglatt hier.«
    »Langsam, langsam«, sagte Don Alfonso.
    Als Vernon weiterging, bog sich der Stamm und federte. Nach einigen Minuten war Vernon auf der anderen Seite. Er warf den Stab hinüber.
    »Sie sind dran.« Don Alfonso reichte Tom den Stecken.
    Tom zog seine Schuhe aus und hob den Stab hoch. Er kam sich albern vor, wie jemand vom Zirkus. Er wagte sich vorsichtig auf den Baumstamm und glitschte, einen Fuß vor den anderen setzend, vorsichtig dem anderen Ufer entg e gen. Jede seiner Bewegungen schien zu bewirken, dass der Baum schaukelte und bebte. Er ging, hielt an, ging weiter. Als die Hälfte der Strecke hinter ihm lag, nutzte Kniich, der in seiner Hemdtasche geschlafen hatte, die Gelegenheit, um den Kopf ins Freie zu schieben und sich umzuschauen. Als er das tosende Gewässer unter sich sah, stieß er ein Gebrüll aus, sprang aus der Tasche und krallte sich in Toms Haar. Tom war so überrascht, dass ein Ende des Stabes nach u n ten sackte. In seiner Panik riss er es wieder hoch, doch die Schwungkraft der Bewegung hebelte das Holz fast sen k recht in die Höhe. Tom machte zwei rasche Schritte, um sein Gleichgewicht zu bewahren, doch dies führte nur d a zu, dass die Behelfsbrücke umso heftiger federte.
    Tom stürzte ab.
    Den Bruchteil einer Sekunde hing er in der Luft, dann war ihm, als würde er von etwas Schwarzem und Eiskaltem verschluckt. Als die Strömung ihn packte, empfand er ein heftiges Zerren, einen Furcht erregenden Ansturm von Gewichtslosigkeit und dann plötzlich ein gewaltiges Brü l len. Er schlug mit den Armen um sich, versuchte nach oben zu kommen, doch er hatte keine Ahnung, wo oben übe r haupt war. Dann spürte er, wie die Strömung ihn gegen ein Unterwasserdickicht aus Baumstämmen presste. Seine A r me fuchtelten herum. Ein schrecklicher Druck lastete auf seinem Brustkorb. Die Luft wurde ihm aus der Lunge g e drückt. Tom versuchte, sich mit Tritten abzustoßen, doch die ihn umgebenden Stämme waren glatt und der Druck stark. Ihm war, als würde er lebendig begraben. Vor seinen Augen zuckten Lichtblitze. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch spürte er nur, wie der Druck seinen Mund fül l te. Er drehte sich, rang verzweifelt nach Luft, versuchte, sich vom Gewirr der Äste zu befreien, und drehte sich e r neut. Doch er hatte jegliche Orientierung verloren. Neue Lichtblitze erfüllten nun sein Blickfeld. Er drehte sich und trat um sich, aber er spürte schon, wie ihm die Kräfte schwanden. Er wurde leichter. Er wurde gewichtslos und ging weit, weit fort.
    Da spürte er plötzlich einen Arm, der sich ihm um den Hals schlang, und wurde brutal in die Wirklichkeit zurüc k gerissen. Jemand zerrte ihn durchs Wasser, zog ihn übers Gestein und legte ihn hin. Er ruhte auf festem Boden und schaute in ein Gesicht, das er nur zu gut kannte. Dennoch brauchte er eine Weile, um Vernon zu erkennen.
    »Tom!«, schrie Vernon. »Schaut, seine Augen sind offen! Tom, sag was! Herrgott, er atmet nicht!«
    Plötzlich war Sally da. Tom spürte einen plötzlichen Druck auf seinem Brustkorb. Alles sah eigenartig aus und vollzog sich sehr langsam. Vernon beugte sich über ihn. Tom spürte, wie er seinem Brustkorb einen heftigen Schlag versetzte. Dann wurden ihm die Arme in die Luft gerissen. Urplötzlich schien der Druck nachzulassen. Tom hustete heftig. Vernon legte ihn auf die Seite. Tom hustete sich die Seele aus dem Leib und spürte, wie irrsinnige Kopfschme r zen ihn packten. Die Wirklichkeit kehrte rasend schnell z u rück.
    Tom strengte sich an, um sich hinzusetzen. Vernon schob ihm die Arme unter die Achseln und stützte ihn.
    »Was ist passiert?«
    »Du bist vom Stamm gefallen«, erklärte Vernon.
    »Ihr dämlicher Bruder Vernito ist in den Fluss gesprungen und hat Sie unter den Baumstämmen herausgezogen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen solchen Wahnwitz gesehen.«
    »Wirklich?«
    Tom drehte sich um und schaute Vernon an. Er war klitsch-nass und hatte eine Schnittwunde an der Stirn. Blut und Wasser vermischten sich in seinem Bart.
    Vernon hielt ihn fest, und er stand auf. In Toms Kopf wurde es nun etwas klarer. Der stechende Kopfschmerz ließ nach. Tom schaute in die brodelnde Stromschnelle hinab, die in den wirbelnden Tümpel hineinraste. Er war voll von ausgerissenen Baumstämmen und Ästen. Dann schenkte er Vernon einen erneuten Blick.
    Jetzt endlich dämmerte es ihm. »Du«, sagte er

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