Der Dämon aus dem grünen See
Worte zu fassen.
„Dann hole ich dich morgen hier ab?“
Wieder nickte sie.
Etwas wie Erleichterung schien ihn zu überfluten, denn er schloss kurz die Augen.
„Ich bin so froh“, sagte er dann. „Ich habe so lange auf dich gewartet.“
5. KAPITEL
Als Cassie auf dem Felsen erwachte, fuhr sie erschrocken hoch. Hatte sie etwa den ganzen Tag über in der Sonne geschlafen? Der Sonnenbrand musste gigantisch sein!
Dann fiel ihr alles wieder ein: Sie war beinahe ertrunken, David hatte sie gerettet …
David! Wo war er?
Nach dem Sonnenstand zu urteilen, konnte nicht viel Zeit vergangen sein, seitdem er sie hier abgesetzt hatte. Aber weder von ihm noch vom Floß war irgendetwas zu sehen. Angestrengt spähte sie zu dem Felseinschnitt, hinter dem, wie sie jetzt wusste, Davids versteckte Bucht lag, doch auch dort regte sich nichts.
Wieso war sie überhaupt eingeschlafen? Auf dem Floß war sie hellwach gewesen, wenn auch etwas durcheinander.
… ich habe so lange auf dich gewartet.
Es mussten Davids letzte Worte gewesen sein, die ihren sowieso völlig chaotischen Gefühlen den Rest gegeben und für einen kurzen Blackout gesorgt hatten.
Die Worte, die sie gehört hatte, als das Gesicht am Küchenfenster erschienen war.
Die Worte auf dem Scrabblebrett.
Waren das alles unglaubliche Zufälle? Oder war sie wirklich in etwas hineingeraten, das sie nicht kontrollieren konnte? Nun ja, Letzteres traf auf jeden Fall zu, wenn man bedachte, wie hemmungslos sie sich auf David gestürzt hatte. Und sie wusste genau – wenn sie ihn wiedersah und er sie noch einmal berührte, würde sie es wieder tun. Es ging einfach nicht anders. Es war Schicksal. Vorherbestimmt. Unausweichlich.
Vielleicht war das der Grund, warum ihre bisherigen Beziehungen immer nur kurz und dank Marcs Eingreifen so mühelos zu beenden gewesen waren? Sie hatte sich einfach nicht in die richtigen Männer verliebt. Der Richtige war noch nicht dabei gewesen. Der eine, dessen Gegenwart sie wie ein Blitzschlag traf und bei dem es keine Zurückhaltung und keine Zweifel mehr gab.
Das Stichwort Zweifel brachte wieder die vernünftige Stimme auf den Plan: Du weißt fast gar nichts von ihm. Hat er dir irgendeine deiner Fragen auch nur ansatzweise beantwortet?
Vielleicht kommt er gar nicht aus der Gegend hier. Vielleicht ist er ein Tramp, ein Obdachloser, und er campt nicht nur in der Bucht, sondern wohnt ständig da. Dann will er natürlich nicht, dass ich das erfahre, hielt die eindeutig verliebte Seite in ihr dagegen.
Ach ja, und wenn das so ist, wenn er ein obdachloser Vagabund ist, dann macht das natürlich gar nichts. Schließlich ist dir Sicherheit überhaupt nicht wichtig.
„Schluss jetzt“, murmelte Cassie, als ihre vernünftige Stimme auch noch sarkastisch wurde. Sie wusste sowieso nicht, was sie denken sollte. Trotzdem nahm sie sich vor, beim nächsten Treffen zumindest seinen Nachnamen herauszufinden. Zwar hatte sie auf der Hütte kein Internet, aber vielleicht fand sich ja bei der nächsten Einkaufstour in der Stadt eine Gelegenheit, den Namen zu googeln.
Doch jetzt musste sie sich erst mal gegen das Wiedersehen mit ihrem Stiefbruder wappnen, das auf jeden Fall unangenehm werden würde. Wie aufs Stichwort hörte sie leise ihren Namen über den See schallen. Hier trugen die Stimmen nicht so weit, weil das Echo fehlte, aber sie kamen immer noch aus dem Wald. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vor ihnen an der Hütte sein.
Es kostete sie erstaunliche Überwindung, sich von dem warmen Felsen ins Wasser gleiten zu lassen. Einen panischen Moment lang hatte sie das Gefühl, als hätte etwas nur darauf gewartet und greife nach ihr, um sie in die Tiefe zu ziehen.
Nach ein paar beherzten Schwimmzügen legte sich das ein wenig, doch Schwimmen würde für eine Weile ganz sicher nicht zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gehören.
Wieso hatte sie sich mit David morgen auch ausgerechnet auf dem Felsen verabredet?
Deshalb, dachte sie grimmig, als sie Marcs Stimme wieder hörte, sobald sie den Strand erreichte. Hastig streifte sie sich das T-Shirt über und schlüpfte in die Segeltuchschuhe. In einem Schuh stieß sie auf ein Päckchen aus großen Blättern, das mit biegsamen Ranken umwickelt war. Sie öffnete es vorsichtig an einer Ecke. Himbeeren. Ein ungewöhnliches Geschenk, genauso ungewöhnlich wie der Absender. Und in doppeltem Sinn sehr süß.
Gleichzeitig gab es ihr die perfekte Erklärung für ihren „Ausflug“. Bis zur Hütte würde sie es nicht mehr
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