Der Dämon aus dem grünen See
Cassie umklammerte Davids Hand fester. „Ich habe auch Wasser geschluckt, als ich fast ertrunken bin.“
„Und alles wieder ausgespuckt“, erwiderte er ruhig. „Keine Angst, ich habe es nicht zugelassen. Und auch dein Instinkt hat sich dagegen gewehrt. Es ist nicht so leicht für ihn, einen Menschen zu übernehmen. Oder größere, gesunde Tiere. Ich war ja schon tot, da hatte er leichtes Spiel.“
Führte sie diese Unterhaltung wirklich? Cassie spürte den rauen Fels unter ihrer freien Hand, spürte Davids Wärme und sah das Glitzern auf dem Wasser. Trotzdem kam sie sich vor, als hätte die Realität sich von ihr getrennt und sie in einer seltsamen Scheinwelt zurückgelassen.
„Und wieso ist es für mich dann gefährlich?“, fragte sie so ruhig wie möglich.
„Er benutzt mich, um an dich ranzukommen. Tagsüber lässt er mich meistens in Ruhe, außer wenn ich etwas tue, was ihm nicht passt. Das habe ich schnell gelernt“, fügte er bitter hinzu. „Wenn ich mich zu weit vom See entferne zum Beispiel, bekomme ich das sofort zu spüren.“
„Und nachts?“, fragte Cassie heiser.
„Nachts hat er mich mehr im Griff“, gab David leise zu.
„Dann war das vorletzte Nacht real?“ Trotz des warmen Tages wurde Cassie eiskalt.
„Das war seinetwegen. Ich kam nicht gegen ihn an. Er hat dich gerufen, und als du dann zum Strand kamst … es war doppelt schlimm, denn ich hatte solche Sehnsucht nach dir, und er wollte dich auch. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, aber ich konnte einfach nicht zulassen, dass er … dass du … Und dann kam ich auf die Idee, dieses Bild von der Echse heraufzubeschwören.“
„Das war nicht real?“, fragte Cassie zweifelnd.
„Nein. Ich bin immer ich, auch wenn er starken Einfluss auch mich hat. Ich verwandele mich nicht. Aber wenn er sehr mächtig ist, verliere ich die Kontrolle und muss tun, was er will. Deshalb darfst du nicht hierbleiben, Cassie.“
Verzweifelt zog er sie an sich, und trotz allem, was sie gerade gehört hatte, konnte sie nicht anders: Sie schlang die Arme um ihn und schmiegte sich an ihn.
„Ich bin so gern bei dir“, flüsterte er in ihr Haar. „Zum ersten Mal, seit das passiert ist, bin ich wieder glücklich. Ich würde alles tun, um mit dir zusammen zu sein, aber es ist zu gefährlich für dich. Er benutzt meine Gefühle für dich, um sich dir nachts zu nähern. Das kann ich nicht ewig abwehren. Ich tue, was ich kann, aber er ist stark. Du musst abreisen, bitte. Bitte, tu es für mich. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert.“
Cassie löste sich ein Stück von ihm und schüttelte den Kopf. „Ich kann doch jetzt nicht einfach wegfahren und so tun, als wäre nichts gewesen!“
„Das musst du aber.“
„Wie stellst du dir das vor? Ich erfahre mal so nebenbei, dass im Emerald Lake ein Ding lebt, das die Kontrolle über Menschen und Tiere übernehmen kann, sage: ‚ Na, das war mal ein interessanter Urlaub! ‘ und lebe weiter, als wäre nichts gewesen?“
„Ja, das wäre das Beste.“
„Aber man muss doch irgendwas dagegen tun können!“
David seufzte. „Den See abpumpen und das gesamte Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten, das könnte funktionieren. Er ist mit dem Wasser verbunden und genauso flüssig und ungreifbar. Er kann jederzeit überall sein. Man kann nicht gegen ihn kämpfen.“
„Woher weißt du das?“
„Na, glaubst du, ich hätte mich einfach so aufgegeben? Ich habe versucht, von ihm loszukommen, aber er hat mir immer wieder gezeigt, wie stark er ist.“
„Nein, ich meine das mit dem Sauerstoff und Wasserstoff. Du warst zwölf, als du fast ertrunken bist. Du konntest nicht mehr zur Schule gehen. Du weißt auch viele andere Sachen, die erst in den letzten Jahren passiert sind. Woher?“
„Du glaubst gar nicht, was die Leute alles liegen lassen, wenn sie hier campen“, erwiderte David. „Zeitungen, Bücher, Ausrüstung … es ist wie ein gut sortierter Supermarkt. Zumindest im Sommer.“
„Und woher bekommst du dein Essen?“
„Ich muss nichts essen. Dafür sorgt er. Am Anfang habe ich mir manchmal was bei den Campern geklaut, weil ich normal bleiben wollte, aber irgendwann war es dann nicht mehr der Mühe wert. Erst mit dir hat es mir zum ersten Mal wieder Spaß gemacht, etwas zu essen. Und zu kochen.“
„Und was machst du im Winter?“
Sein Achselzucken war resigniert und verzweifelt zugleich. „Man nennt es wohl Winterstarre. Der See friert zu. Wir warten, bis es
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