Der Dämon aus dem grünen See
sprechen.
Mit der Wasserflasche in der einen und ihrer Umhängetasche in der anderen Hand betrat sie das Haus, das ihr gleich verdächtig leer erschien.
„Mom? Pete?“, rief sie.
Keine Antwort.
Als sie in die Küche kam, fiel Cassie fast die Flasche aus der Hand. Sie schleuderte ihre Tasche auf einen Stuhl und stellte die Flasche auf die Arbeitsplatte neben der Spüle. Dann trat sie an das Magnetbrett am Kühlschrank, an dem wichtige Telefonnummern und andere Notizen hingen. In der Mitte prangte ein postkartengroßer Zettel aus neonfarbenem Papier, auf dem eine Festnetznummer stand. Darunter hatte ihre Mom in Druckbuchstaben geschrieben: Hotel Waikiki Beach, Hawaii, 20.7.-12.8.
So einen Zettel hängte ihre Mom nur auf, wenn sie in Urlaub fuhr. Er war für die Putzfrau gedacht, die auch die Post reinholte und die Blumen goss. Und er bedeutete, dass Marc von Anfang an gelogen hatte.
Statt hier vor Sorge die Wände hochzugehen, weil Cassie und Linda allein in der Hütte logierten, war ihre Mom seelenruhig selbst in Urlaub gefahren. Und zwar ziemlich spontan, denn vor Cassies Abfahrt hatte sie gar nichts davon erzählt. Vielleicht eine Überraschung von Pete. Der ließ sich öfter so kleine Geschenke einfallen, um Mom glücklich zu machen. Was Marc eiskalt ausgenutzt hatte, weil die beiden über Handy auf Hawaii nur schlecht zu erreichen waren und seine Lüge so nicht sofort entlarvt werden würde.
Wutentbrannt nahm Cassie den Zettel vom Brett und streckte ihn Marc hin, als der die Küche betrat.
„Mom ist also außer sich vor Sorge, ja?“ Eigentlich hatte sie nicht schreien wollen, aber sie konnte nicht anders.
„Na ja, ihr war ein bisschen mulmig, bevor sie losgefahren sind.“
„Was geht nur in deinem kranken Kopf vor?“, stieß Cassie hervor. „Was willst du damit erreichen? Hasst du mich so sehr, dass du mir nichts gönnst? Keinen Freund, keinen Urlaub ohne dich …“
Erschrocken trat Marc zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Um Gottes willen, Cassie, ich hasse dich doch nicht! Ich will nur nicht, dass dir etwas zustößt, versteh das doch. Du siehst immer nur das Gute in anderen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, dass es auch Menschen gibt, die dir vielleicht etwas Böses wollen. Und vor denen will ich dich schützen. Du bist doch meine kleine Schwester. Ich würde es nicht ertragen, wenn dir jemand wehtut.“
„Nein, das machst du lieber selbst“, schleuderte Cassie ihm entgegen.
Marc wurde blass. „Du musst das verstehen“, sagte er leise. „Vielleicht kommt es dir jetzt so vor, als wäre ich eine schreckliche Nervensäge, aber du wirst es einsehen. Glaub mir, mit diesem Typ stimmt was nicht. Er ist ständig um die Hütte rumgeschlichen, damals vor fünf Jahren, und jetzt auch wieder. Du warst da nicht sicher. Wer weiß, was …“
Dass Marc fast dieselben Worte benutzte wie David, brachte das Fass zum Überlaufen.
„Ach, hör doch auf“, rief Cassie. „Das ist doch alles Blödsinn. Du bist mein Problem, Marc, niemand anderes, kapierst du das endlich mal? Du machst mir das Leben zur Hölle! Du bist der Stalker!“
Marc schluckte. „Das darfst du nicht sagen“, stieß er heiser hervor. „Ich will dich doch nur beschützen …“ Ein Hustenanfall unterbrach ihn.
Er griff nach der Wasserflasche auf der Arbeitsplatte, und bevor Cassie überhaupt begriff, was passierte, hatte er einen großen Schluck genommen.
Dann verzog er angewidert das Gesicht.
„Das schmeckt total komisch, das muss irgendwie schlecht geworden sein.“
Hastig drehte er die Flasche um und goss das Wasser in den Ausguss.
„Nein!“, schrie Cassie und stürzte sich auf ihn, um ihm die Flasche zu entwinden. Als sie sie endlich wieder an sich gebracht hatte, war sie bis auf zwei Fingerbreit Wasser leer.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, fragte Marc entgeistert, als sie mit der freien Hand auf ihn einschlug.
„Du bist schuld!“, stieß Cassie aufgelöst hervor. „Du bist an allem schuld! Geh, lass mich endlich in Ruhe. Geh weg, ich will dich nie wieder sehen!“
Die Flasche mit der Linken fest umklammert, ließ sie sich auf einen Küchenstuhl sinken, legte den Kopf auf den rechten Arm und tat das Einzige, wozu sie im Moment noch imstande war: Sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
8. KAPITEL
Ein gurgelndes Geräusch riss Cassie aus ihrem Anfall von Selbstmitleid. Es kam von der Spüle, und es klang, als wäre der Abfluss verstopft.
Schniefend hob sie den Kopf. „Marc?“,
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