Der Dämon aus dem grünen See
können. Vielleicht lag es an seinen goldbraunen Augen oder an den stets verwuschelten dunkelblonden Haaren, die ihm gleichzeitig etwas Verwegenes und Verletzliches gaben. Wenn er sie bittend ansah, konnte sie einfach nicht widerstehen.
Aber diesmal war es ja nicht nur um eine Meinungsverschiedenheit gegangen, sondern um die kaltblütigste Abfuhr der Neuzeit, und sie gab sich große Mühe, das nicht zu vergessen.
„Es ist eine ganze Menge passiert, aber ich wüsste nicht, wieso dich das interessieren sollte“, gab sie kühl zurück.
„Cassie, das mit deiner Mom tut mir so leid“, murmelte er.
„Das mit meiner Mom? Was soll das denn heißen?“
„Was? Ich dachte, ihr seid wieder hier, weil es ihr nicht gut geht.“ Er biss sich auf die Unterlippe.
„Wie kommst du denn darauf? Sie ist mit Pete auf Hawaii.“
„Aber wieso bist du nicht mitgefahren?“
„Was soll ich denn dort? Die beiden brauchen bestimmt keine Anstandsdame.“
Tom schüttelte den Kopf. „Aber ihr wolltet doch alle zusammen … Ist Marc dort?“
„Nein. Schön wär’s.“ Stirnrunzelnd sah sie Tom an. „Wie kommst du überhaupt darauf?“
Unentschlossen trat Tom von einen Fuß auf den anderen. „Ach nichts, schon gut. Da muss ich wohl was falsch verstanden haben.“
Cassie horchte auf. „Nicht unbedingt“, sagte sie gedehnt. „Was hat Marc dir erzählt?“
„Ich … ich kann nicht darüber reden. Ich habe Marc versprochen, dir nichts zu sagen …“
Natürlich. Das hätte sie sich ja denken können.
„Sag’s mir trotzdem“, verlangte sie.
„Das kann ich nicht machen. Ich habe es ihm versprochen.“
„Na super. Du bist … warst mit mir zusammen und nicht mit ihm, oder?“ Warum regte sie sich überhaupt auf? Tom war Geschichte. Trotzdem konnte sie sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. „Vielleicht solltest du mal drüber nachdenken, wer da deine Loyalität verdient hätte.“
Als er sie nur schweigend ansah, zuckte sie die Achseln und wandte sich zum Gehen. „Ach, vergiss es einfach“, murmelte sie. „Leb wohl.“
Damit war dieses Kapitel wohl endgültig abgeschlossen. Wie hatte sie nur je glauben können, sie wäre seine große Liebe?
„Cassie!“
Sie war schon in die Nebenstraße abgebogen, die nach ein paar Blocks in Lindas Wohngebiet führte, als sie seine Hand auf ihrem Arm spürte.
„Lass mich in Ruhe“, murmelte sie und schüttelte ihn unwillig ab.
„Ein paar Tage vor Semesterende hat Marc bei meinen Eltern angerufen“, erklärte Tom unvermittelt. „Er sagte, er, Pete und deine Mom hätten gerade erfahren, dass deine Mom sehr krank ist. Aber sie wollten es dir noch nicht erzählen, um dich zu schonen.“
Er verstärkte den Griff um ihren Arm, und dafür war Cassie ihm dankbar, denn plötzlich schwankte der Boden unter ihren Füßen.
„Meine Mom?“, japste sie. „Er hat gesagt, meine Mom …“
Vor ihren Augen tanzten bunte Lichter. Unfassbar. Einfach unfassbar, wie weit Marc ging.
„Es war der Wunsch deiner Mutter“, fuhr Tom tonlos fort. „Sie wollte mit euch allen nach Hawaii, und du solltest erst am Ende des Urlaubs erfahren, was los ist, damit du vorher noch eine unbeschwerte Zeit mit ihr verbringst. Meine Eltern meinten, Marc wäre am Telefon sehr verzweifelt gewesen. Er hatte Angst, dass du nicht mitfährst, weil wir beide ja in die Karibik wollten. Und er wusste nicht, wie er dich dazu bringen sollte, deine Meinung zu ändern, ohne dass er dir von ihrer Krankheit erzählt. Also bat er meine Eltern und mich um Hilfe.“
In Cassies Ohren begann es zu summen, und ihr Blickfeld zog sich auf einen kleinen Kreis zusammen, in dem sie alles wie durch einen grauen Nebel sah. Tom legte den Arm um sie und führte sie zu einer Bank an einer Bushaltestelle.
„Es tut mir so leid“, stöhnte er. „Du hättest es niemals auf diesem Weg erfahren dürfen.“
Noch immer hörte sie ihn nur wie durch Watte, und sie hatte Schwierigkeiten, klar zu sehen. Hilflos starrte sie ihn an.
Tom legte eine Hand in ihren Nacken. „Beug dich vor, und steck den Kopf zwischen die Knie.“ Sanft drückte er ihren Kopf nach unten. „So ist es gut. Langsam atmen. Gleich geht es wieder.“
Tatsächlich ließ das Summen nach, und sie hatte nicht mehr das Gefühl, alles drehe sich um sie. Trotzdem fiel es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Griff Marc wirklich zu so furchtbaren Lügen? Oder war es am Ende doch wahr?
„Erzähl weiter“, bat sie, als sie sich wieder aufrichtete, und
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