Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
arbeitsrechtlich äußerst fragwürdigen Fragenkatalog liefert
die Geschäftsleitung gleich mit: Der sei Bestandteil eines neuen
unternehmensinternen Sicherheitskonzepts, das mit dem berühmten
österreichischen Profiler Thomas Müller umgesetzt werde. Künftig müssten alle
Mitarbeiter – insbesondere diejenigen an neuralgischen Positionen – damit
rechnen, zum Interview mit Thomas Müller gebeten zu werden. Dass sie das neue
unangenehme Sicherheitskonzept einem treulosen ehemaligen Mitarbeiter zu
verdanken haben, erfahren die Angestellten nicht.
Der
Fragebogen werde streng vertraulich behandelt, so heißt es. Außerdem – die LGT
hat dazugelernt – werde er, so verspricht das Finanzunternehmen, nicht
elektronisch eingelesen, sondern lediglich als Papierkopie im Personaldossier
des jeweiligen Mitarbeiters abgelegt.
Auf der
anderen Seite des Globus plagen Elton Martin, Kiebers alten Freund aus
Australien, ganz andere Probleme. Ihm graut es vor dem bevorstehenden
Weihnachtsfest: Seine Frau hat sich scheiden lassen und lebt mit einem anderen
Mann zusammen. Seine Kinder sieht er viel zu selten, sein Catering-Unternehmen
existiert nicht mehr, er hält sich mit Gelegenheitsjobs und Kochkursen über
Wasser. Und jetzt ist seine Exfrau auch noch an Krebs erkrankt. Als er an
diesem Tag in der Woche vor Weihnachten seinen Briefkasten leert, traut er
seinen Augen nicht: »Da lag eine Notiz drin: ›Hi, it’s Henry.‹ Das Jahr 2006 war schrecklich gewesen für mich. Ich wusste nicht mehr,
wo oben und wo unten war. Wie ich Henrys Namen auf dem Papier las, dachte ich:
Mein Gott! Wenn es eine Person gibt, die ich gerne sehen möchte, dann ist es
Henry. Denn er kann sich noch an meine Welt erinnern, als sie noch in Ordnung
war. Er war damals, in den 1990er Jahren, so was wie ein Teil unserer Familie
gewesen. Ich habe ihm sofort eine E-Mail geschickt, und Henry hat mich besucht.
Er war schockiert, als er hörte, wie schlecht es mir ging und was mir alles
widerfahren war, in den zehn Jahren, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen
hatten – das war in dem Jahr gewesen, als meine Frau schwanger war. Das Kind
verloren wir kurz nach der Geburt. Für mich war Heinrich in dem Moment, wie er
Ende 2006 vor mir stand, meine Familie. Wir verbrachten gemeinsam Weihnachten
bei Freunden in Mosman , das liegt zwischen Manly und Sydney. So sind wir wieder zusammengekommen.«
Kieber hat
sich ein Zimmer gemietet, ganz in der Nähe des Bahnhofs Turramurra ,
einem Vorort im Nordwesten Sydneys, sagt Martin: »Wir sind dann, wenn ich mich
richtig erinnere, an einem Tag hingefahren, haben seine Sachen geholt, und er
hat für ein paar Tage bei mir gewohnt.« Heinrich erzählt Martin ohne
Umschweife, dass er gekommen sei, um zu bleiben: »Henry drückte sich
dahingehend sehr deutlich aus. Er wollte ein Haus finden mit einem
langgestreckten Pool für seinen täglichen Kilometer, wollte ein einfaches Leben
führen und, wenn er Glück hätte, eine Frau finden und Kinder haben.«
Gemeinsam
gehen die beiden alten Freunde ins Kino: Kieber möchte den neuen James Bond
sehen, Casino Royale .
Dass er selbst so etwas wie ein Agent ist, der auf höchster Ebene mit
Geheimdiensten zusammenarbeitet, verrät er seinem Freund Elton Martin nicht. Auch
nicht, dass sein Besuch einen sehr konkreten Hintergrund hat und er mit den
Steuerbehörden weitere Details seines Datendeals verhandelt. Unter anderem
überreicht er einer australischen Behörde einen achtseitigen Brief, den er mit
»Sydney, Dezember 2006« datiert. Auf der dem Autor vorliegenden Kopie sind der
Empfänger des Schreibens und die ersten fünf Seiten des Briefs komplett
geschwärzt. Auf den lesbaren Seiten fasst Kieber seine Arbeit und seine
Beobachtungen bei der LGT zusammen – in denselben Worten wie im Brief, den er
den ATO-Beamten während des Geheimtreffens übergab. Auf das Treffen weist er in
diesem Schreiben nochmals hin: »Im Oktober 2006 fand eine sehr erfolgreiche und
angenehme Woche mit mehreren Meetings mit Michael Monaghan ,
Michael O’Neill und Jan Farrell statt.« Und fügt hinzu: »ATO plant zu Beginn
des Jahres 2007 einen Workshop mit verschiedenen anderen Ländern.«
Wem teilt
Kieber das mit? Der Steuerbehörde? Wohl kaum, die ist bereits bestens
informiert. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich Kieber in Absprache und mit
der Unterstützung des ATO an das Department of Immigration wendet und darin seinen innigen Wunsch äußert, in Australien leben
zu dürfen, und dass die
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