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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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er seine Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf den Lehrkörper konzentrieren mußte, vor allem auf die Chemiker.
    Mario Villalobos hatte bis dahin über die Handvoll erstklassiger wissenschaftlicher Institute in Amerika in etwa das gewußt, was der Durchschnittsbürger eben so weiß. Das heißt, er hatte so gut wie gar nichts gewußt. Er konnte den Prospekten im Collegebüro entnehmen, daß hier, was zu erwarten gewesen war, praktisch jeder Mensch einen Doktortitel mit sich herumschleppte. Er erfuhr, daß ungewöhnlich viele Nobelpreise an Mitglieder des Lehrkörpers von Caltech oder wenigstens an Leute, die hier studiert hatten, verliehen und prozentual weitaus mehr Mitglieder dieser kleinen Universität in die National Academy of Sciences und die National Academy of Engineering gewählt worden waren als von allen übrigen Lehrinstituten in ganz Amerika. Ständig waren Nobelpreisträger unter den Professoren und Lehrbeauftragten vertreten, und an einer Stätte wie dieser konnte man sicherlich davon ausgehen, daß noch weitaus mehr Menschen hofften und davon träumten, eines Tages Preisträger zu werden.
    Nachdem er die für jedermann erhältlichen Prospekte gelesen hatte, ging Mario Villalobos nach draußen und setzte sich in der Nähe eines neuerbauten chemischen Laboratoriums auf die Steine. Er beobachtete die Studenten, die ständig kamen und gingen. Er rauchte und genoß das bißchen Sonnenschein, das der Tag ihm so bot. Und er dachte wieder mal über alles nach.
    Bis jetzt wußte er, daß eine Nutte ermordet worden war. Er wußte, daß ein »Private eye«, ein zweitklassiger Schnüffler, in einem Motel gestorben war, in dem er mit der inzwischen ermordeten Nutte das Bett geteilt hatte. Warum ausgerechnet in einem Motel, das wußte er nicht. Vielleicht hatten sie ja eine Schwäche für Pornofilme.
    Er hatte von einem »Ausländer« gehört, der mit seiner ermordeten Nutte geschlafen hatte, und er kannte einen verrückten Schwulen, der fest daran glaubte, daß die ermordete Nutte und ihr Schnüffler diesen »Ausländer« zu erpressen versucht hatten.
    Er wußte, daß seine Nutte die Telefonnummer der Division of Chemistry beim Caltech aufgeschrieben hatte, und außerdem mußte er sich sagen, daß der Schnüffler, der ein Fan jeglicher Naturwissenschaft gewesen war, eines Tages vielleicht einfach ins Caltech gegangen und Missy Moonbeam gebeten hatte, ihn dort anzurufen. Vielleicht hatte sich Lester Beemer nur eine Vorlesung in einem der Hörsäle angehört. In die konnte jeder gehen.
    Aber dann war da noch die mysteriöse Geschichte, die seine ermordete Nutte dem verrückten Schwulen anvertraut hatte, daß angeblich ein russischer Wissenschaftler sie dabei unterstützen würde, vom Strich loszukommen. Von daher war es tatsächlich vorstellbar, daß der Ausländer ein Russe war, der erpreßt wurde.
    Außerdem hatte seine ermordete Nutte ein bißchen Leichenfledderei betrieben und ihrem früheren Freund die Kreditkarte geklaut, was durchaus einleuchtend war, weil es ihren Gewohnheiten entsprach. Aber hätte sie auch seine billige Armbanduhr geklaut? Das war nicht einleuchtend, weil es gewissermaßen nicht ihren Gewohnheiten entsprach. Oder jemand anderes hatte ihm die Armbanduhr geklaut. Aber weshalb? Verriet sie unter Umständen die Todeszeit?
    Und schließlich gab es noch einen dunkelhaarigen und ziemlich großen Mann in einem Nadelstreifenanzug, der sich an eine mittlerweile tote Nutte und einen lebendigen Schwulen herangepirscht hatte, wahrscheinlich, soweit es den lebendigen Schwulen betraf, mit sehr finsteren Absichten.
    Und all dies war und blieb am Ende trotzdem bloß Tuntenkram und Kaviar, weil die Annahme absolut bekloppt war, daß da ein irrsinniger Russe durch die Straßen von Los Angeles und Pasadena strich und nach einer Bordsteinschwalbe, einem Schwuli und einem miesen alten Schnüffler suchte, die ihn gemeinsam erpreßten. Eins jedenfalls war sicherlich kaum ein Motiv für ihn, einen Massenmord zu begehen: die Drohung, seiner Ehefrau oder seinem Boß oder seinem Kommissar zu enthüllen, daß er während seines Aufenthaltes in Los Angeles, der Heimat aller sexuellen Perversionen, mal einer sexuellen Perversion verfallen war.
    In bestimmten Situationen mochten Leute zu Mördern werden, wenn es darum ging, ein solches Geheimnis zu bewahren. In extremen Fällen, in denen bestimmte Enthüllungen den totalen Ruin bedeuten würden. Aber Mordermittlungen gingen im allgemeinen von dem aus, was

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