Der Diamant des Salomon
der Schleifarbeiten übertragen w orden.
Als der Herzog sieben Jahre später einen dritten großen Stein hatte schleifen lass e n, war aus dem Lehrling Julius Vidal schon fast ein Meister geworden, dem man umfangreichere Arbeiten hatte übertragen können. Zusammen mit Lodewyck h atte er dem seltsamen, etwas defor m ierten Edelstein eine dreieckige Form gegeben, die seiner ursprünglichen Gestalt am besten gerecht geworden war. Vidal und sein Vetter Robert hatten unter Lodewycks wachsamen Augen den Schliff berechnet und die Facetten geschliffen. Schließlich hatt e n sie den polierten Diamanten in einen großartigen, aus zwei ineinandergreifenden goldenen Händen bestehenden Freundschaftsring gesetzt, den Vidal ganz allein entworfen hatte und den der Herzog anschließend König Ludwig XI. von Frankreich als Zeichen sei n er Loyalit ä t ü b erreic h t hatte.
Lodewyck und Robert h atten fünft a usend Dukaten u n d den Ruhm ei ngestrichen, hatten aber Vidal so lobend erwähnt, daß ihn daraufhin der Herzog von Burgund unter seinen pe r s ö nlichen S c h utz gestellt h atte.
Jetzt saß er allein und ohne jegliche Hilfe vor diesem gelben Diamanten und studierte ihn, wie er damals den dreieckigen Stein zusa m m en mit seinem Onkel und seinem Vetter studiert hatte.
Dann schliff er, so wie es ihm sein Onkel beigebracht hatte, ein paar glatte Stell e n in d i e rau h e O berfl ä che, durch die er ins Innere d es Steines blicken konnte. Die tief herabreichenden, spanischen Fenster spendeten gutes Licht, trotzdem aber mußte Julius den Diamanten vor das gebündelte Licht eines Dutzends Kerzen halten, um drinnen etwas zu sehen. Bald zitterten seine Hände.
In den Stein hineinzusehen kam ihm vor wie ein Traum, eine brillant funkelnde Welt aus Tausenden von explodierenden Kerzenflammen. Leider endete die goldene Schönheit des Steines abrupt in einer Trübung, die so ausgeprägt war, daß Julius aufstöhnte. Das klare, warme Gelb verschwand in einer weißen Wolke, die sich zur Unterseite des Diamanten hin häßlich verdunkelte. Es war ein schwerwiegender Makel, der Vidal große Sorgen bereitete. Dennoch war es led i glich seine Aufgabe, dem Stein in Form von Facetten eine elegante äußerliche Gestalt zu geben. Dazu mußten zuerst einmal die oberen Kanten entfernt werden. Julius untersuchte die Maserung des Diamanten, als wäre dieser ein Stück Holz, und markierte die Stellen, an denen man ihn spalten konnte, mit Tuschestric h en.
Wie leicht konnte man so einen Stein ruinieren.
Als die Soldaten kamen, um den Diamanten für die Nacht weg z uschließen, war seine O berfl ä che m it Tusc h emarkierungen überzogen. Julius wandte sein Gesicht ab, so daß nie m and sehen konnte, was für einen Ausdruck er in seinen Augen hatte.
»Es geht ihm schlecht«, sagte der alcalde.
Als Vidal die Zelle betrat, sah er zu seinem E ntsetzen, daß der Blick seines Vetters einen hohlen Ausdruck angenommen hatte und Mund und Nase von eiternden Geschwüren bedeckt w a ren. Vidal w usch ihm das Gesicht und bat den alcalde, den Doktor zu rufen.
Nur mit Mühe konnte De Mariana sprechen. »Teil meines Manuskripts. Versteckt. Bringst du es mir?«
»Natürlich. Wo ist es?«
»Gartenhaus. Auf dem Gelände meines Hauses. Ich zeichne dir einen Plan.« A b er seine F i nger waren zu schwach, um eine Feder zu halten.
»Bemühe dich nicht. Sag mir nur, wie ich hinkomme.« Vidal notierte sich den W e g, wobei er ab und zu innehielt und nachfragte.
»I n ein e r g r üne n Kist e . Unte r de n Tontöpf e n a n de r No r dwand. « De r Schlei m blubbert e i n D e Mariana s Lungen.
»Mach dir keine Sorgen. I c h werde es finden.« Aber dann zögerte er. Er würde Stunden brauchen, bis er wieder zurück wäre. »Ich bin m i r nicht sicher, ob ich dich all e in las s en soll.«
»Geh. Bitte!« sagte De Mariana.
Julius ver a bscheute es, sein Pf e rd mitt e ls S p oren oder Peitsche anzutreiben, aber jetzt mußte er sich wi r klich b eherrschen, damit er es nicht t a t. Fast den ganzen langen Ritt über hielt er den W a llach im Trab. Ein paarmal, wenn er durch ein Wäldchen ritt, len k te er das Pfe r d von der Straße und wartete eine Zei t lang zwischen den Bäumen. Es folgte ihm niemand.
In De Marianas Heimatdorf stand die Tür der Kirche weit a u f. Im Vorbei r eit e n sah J u lius die sanbe ni tos über den Kirchenbänken. Wie an e i ner Wäscheleine waren die ärmellosen Büßerkleider, die d i e v o n der Inqui s ition Verurteilten tragen
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