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Der Diamant im Bauch der Kobra

Der Diamant im Bauch der Kobra

Titel: Der Diamant im Bauch der Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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steckte in einem Overall, der sicherlich nicht nur von ihm bewohnt
wurde. Verfilztes Haar. Er wirkte verschlagen.
    Jetzt war er an der Reihe.
Einen Zehn-Dollar-Schein wollte er wechseln. Das wurde ihm gewährt. Aber der
Kassierer prüfte genau, ob die Banknote vielleicht selbstgemacht war.
    Collins trat zu den beiden
Besuchern aus Deutschland. „Ich nehme euch mit zu Joan. Sie ahnt ja nicht, was
wir inzwischen erlebt haben.“
    Draußen waberte die Luft.
Unbarmherzig brannte die Sonne.
    Joan stand vor dem Haus und
hielt Ausschau. Die Nachricht vom Banküberfall war wie ein Lauffeuer durch
Springfield geeilt und auch zu ihr gedrungen.
    Opa Collins blieb nicht lange,
klopfte vielsagend auf seine pralle Brieftasche und erklärte augenzwinkernd, er
hätte noch was zu erledigen.
    Als er gegangen war, sagte
Joan: „Er beschenkt mich so gern. Nachher kauft er die Goldkette. Er ist der
beste Opa der Welt. Aber nicht wegen der Geschenke, sondern wegen seiner Güte.
Habt ihr bemerkt, wie altmodisch er ist? Statt dem Juwelier einen Scheck zu
geben, holt er das Geld von der Bank. Er bezahlt immer in bar, benutzt niemals
Kreditkarten. Am liebsten würde er sein Geld unterm Kopfkissen aufbewahren —
wie vor 100 Jahren. Wie es damals üblich war, meine ich. Ihr müsstet mal hören,
was für Geschichten über ihn als Bürgermeister im Umlauf sind. Von Protokollen
hielt er nichts. Er hatte alles im Kopf und wurde wütend, wenn seine
Mitarbeiter wichtige Einzelheiten erst irgendwo nachschlagen mussten.“
    „Vor allem bewundere ich seinen
Mut“, sagte Gaby. „Wie er den Webster reingelegt hat, das hätte auch
schiefgehen können.“
    Tim nickte. „Dazu gehört
Kaltblütigkeit. Der Gangster hatte schon zweimal geschossen. Wäre der
durchgedreht, hätte es deinen Opa das Leben gekostet. Aber jetzt haben wir noch
eine Neuigkeit. Gestern Abend, Joan, hat uns ein Hoteldieb beklaut.“
    Während er berichtete, hielten
sie sich im Garten auf, im Schatten unter dem Blätterdach eines Ahornbaums. Der
stand hinter dem Haus. Aber man konnte zur Straße sehen. Dort kam der
Gammeltyp, der in der Bank den Geldschein gewechselt hatte.
    Gaby bemerkte ihn, als er
barfüßig durch die Einfahrt latschte.
    „Da kommt Bill“, sagte Joan.
Und dann: „Hallo, Bill!“
    Der nickte und zeigte gelbliche
Zähne.
    „Hallo! Ah, die Deutschen.
Sheila sagte mir, dass ihr keine Kriegsverbrecher seid. Hahahah! Aber die
Seife, Joan, sah wirklich wie Fett aus — roch auch so. Dicker Hammer, dass ich
das verwechselt habe, was? Ist vielleicht, weil ich Seife nicht mehr gewöhnt
bin. Hahahah! Aber Sheila mag mich wie ich bin. Wie ist es? Lieferst du heute
Verpflegung an? Oder müssen wir hungern?“
    „Pleite ist er nicht“, sagte
Gaby zu Joan. „In der Bank hat er zehn Dollar gewechselt. Ich glaube, Joan, die
nutzen dich aus.“
    „Hör sich das einer an!“,
zischte der Kerl. „Stimmt’s also doch, was Sheila über euch sagt. An eurer
Stelle wäre ich vorsichtig. Für Fremde kann hier leicht was ins Auge gehen.“
    „Ist das eine Drohung?“,
erkundigte sich Tim.
    „Ach, hört doch auf!“, rief
Joan. „Wozu Streit, wenn doch Verständnis viel schöner ist! Nachher bringe ich
euch Essen, Bill. Aber sag Sheila, sie soll nicht soviel Bier trinken. Sich
hängen lassen, kiffen und trinken — das ist der Anfang vom Ende.“
    Der Penner bleckte seine
Gelbzähne.
    „Der Anfang vom Ende“, äffte er
sie nach. „Aha! Für diesen Webster ist es bestimmt das Ende. Aber dein Opa
genießt die Bewunderung. So kriegt jeder, was ihm zukommt.“

    Er vollführte eine Geste, als
ziehe er den Hut, und latschte dann ab auf schwieligen Sohlen.
    „Geht der immer barfuß?“,
fragte Gaby.
    „So sehe ich ihn zum ersten
Mal.“ Joan krauste die Stirn. „Ich habe ihm Geld gegeben, damit er sich
Kleidung kaufen kann. Das Geld hat er genommen. Aber er läuft immer noch rum
wie ‘ne Vogelscheuche. Schrecklich!“
    „Was sagen eigentlich deine
Freunde zu deinem... hm... Sozialtick?“, wollte Tim wissen.
    „Sie denken das Gleiche wie
ihr.“ Joan lächelte. „Aber der wahre Samariter, der Helfer in Not, lässt sich
nicht beirren.“
     
    *
     
    Ein Dutzendmal hatte das
Telefon geklingelt. Freunde und Bekannte beglückwünschten ihn. Jetzt hatte Opa
Collins genug. Keine weiteren Belästigungen!, dachte er. Ich melde mich nicht
mehr. Ich bin nicht zu Hause. Schluss! Aus!
    Er wohnte am Rande von
Springfield, sehr entlegen. Eine halbe Sichtweite trennte ihn vom

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