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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Gewohnheit, die ich ihm abgeschaut hatte ( » Das hilft dir, dein Essen zu verdauen « , erklärte Boris), dann fläzten wir uns herum, lasen und machten Hausaufgaben; manchmal stritten wir uns, und oft tranken wir uns vor dem Fernseher in den Schlaf.
    » Geh nicht! « , sagte Boris eines Abends bei ihm zu Hause, als ich gegen Ende der Glorreichen Sieben aufstand, kurz vor der letzten Schießerei, als Yul Brynner seine Leute zusammentrommelt. » Du verpasst den besten Teil. «
    » Ja, aber es ist gleich elf. «
    Boris, der auf dem Boden lag, stemmte sich auf einem Ellenbogen hoch. Langhaarig, schmalbrüstig, schmächtig und dünn, war er in beinahe jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von Yul Brynner, und trotzdem gab es da eine seltsame Familienähnlichkeit: Sie strahlten die gleiche verschlagene Wachsamkeit aus, amüsiert und ein bisschen grausam, und in den schrägen Augen lag etwas Mongolen- oder Tatarenhaftes.
    » Ruf Xandra an, sie soll kommen und dich abholen. « Er gähnte. » Wann macht sie Feierabend? «
    » Xandra? Vergiss es. «
    Boris gähnte noch einmal, und seine Lider waren schwer vom Wodka. » Dann schlaf hier. « Er rollte sich auf die Seite und rieb sich mit einer Hand das Gesicht. » Werden sie dich vermissen? «
    Würden sie überhaupt nach Hause kommen? In manchen Nächten taten sie es nicht. » Das bezweifle ich. «
    » Sei still. « Boris langte nach seinen Zigaretten und richtete sich auf. » Pass auf. Jetzt kommen die Schurken. «
    » Hast du den Film schon gesehen? «
    » Russisch synchronisiert, wenn du das glauben kannst. Aber sehr schwaches Russisch. Für Weicheier. Sagt man das, Weicheier? Mehr für Lehrerinnen als für Revolvermänner, das will ich sagen. «
    XIV
    Obwohl ich bei den Barbours elend traurig gewesen war, betrachtete ich jetzt die Wohnung in der Park Avenue voller Sehnsucht als verlorenes Paradies. Am Computer in der Schule hatte ich zwar Zugang zu E-Mails, aber Andy war kein großer Schreiber, und die Nachrichten, die ich zur Antwort auf meine bekam, waren frustrierend unpersönlich. ( Hi, Theo. Hoffe, du hattest einen schönen Sommer. Daddy hat ein neues Boot – die Absalom . Mutter setzt keinen Fuß darauf, aber ich wurde leider gezwungen. Japanisch II bereitet mir ein bisschen Kopfschmerzen, aber alles andere ist okay. ) Mrs. Barbour beantwortete pflichtbewusst die Briefe, die ich ihr auf Papier schrieb, mit einer oder zwei Zeilen auf ihren monogrammgezierten Briefkarten, aber auch da las ich nie etwas Persönliches. Sie fragte immer: Wie geht es dir? und endete immer mit: Wir denken an dich, aber niemals stand da: Du fehlst uns oder Wir würden dich gern sehen.
    Ich schrieb an Pippa in Texas, aber sie war zu krank, um zu antworten, und das war auch okay, denn die meisten Briefe schickte ich nicht ab.
    Liebe Pippa,
    wie geht es dir? Wie gefällt es dir in Texas? Ich habe viel an dich gedacht. Hast du das Pferd geritten, das du gern hast? Hier ist es toll. Ich frage mich, ob es bei dir heiß ist, denn hier ist es sehr heiß
    Wie langweilig. Ich warf das Blatt weg und fing von vorn an.
    Liebe Pippa,
    wie geht es dir? Ich denke an dich und hoffe, es geht dir gut. Ich hoffe, in Texas ist alles okay es wunderbar für dich. Ich muss gestehen, ich finde es hier ziemlich grässlich, aber ich habe ein paar Freunde gefunden und gewöhne mich wohl ein bisschen ein.
    Kriegst du kein Heimweh? Ich schon. Ich vermisse New York sehr. Ich wünschte, wir würden näher beieinander wohnen. Was macht dein Kopf? Hoffentlich geht es besser. Es tut mir leid, dass
    » Ist sie deine Freundin? « , fragte Boris. Er biss krachend in einen Apfel und schaute mir über die Schulter.
    » Hau ab! «
    » Was ist mit ihr passiert? « , fragte er, und als ich nicht antwortete: » Hast du sie geschlagen? «
    » Was? « Ich hatte nur halb zugehört.
    » Auf den Kopf? Entschuldigst du dich deswegen? Hast du sie geschlagen oder so was? «
    » Ja, genau « , sagte ich, und an seinem ernsten, interessierten Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er meinte, was er sagte.
    » Glaubst du, ich verprügle Mädchen? «
    Er zuckte die Achseln. » Vielleicht hat sie verdient. «
    » Äh, also wir schlagen in Amerika keine Frauen. «
    Er spuckte stirnrunzelnd einen Apfelkern aus. » Nein, Amerikaner schikanieren nur kleinere Länder, die eine andere Meinung haben als sie. «
    » Boris, halt die Klappe und lass mich in Ruhe. «
    Aber er hatte mich mit seinen Kommentaren aus dem Konzept gebracht, und statt einen neuen

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