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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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gesagt, ich will nicht, dass du mitkommst. «
    » Ich weiß. Das hab ich auch nicht behauptet. « Pause. » Und nur, damit du es weißt: Ich bin nicht der, der die Tür immer offen lässt. Es ist Dad, wenn er zum Telefonieren rausgeht. «
    Xandra griff in den Schrank und holte ihren » Planet Hollywood « -Becher heraus. Sie sah mich über die Schulter hinweg an. » Du gehst doch nicht wirklich zu ihm zum Essen, oder? Zu dem kleinen Russki, oder was er sonst ist? «
    » Nein. Wir wollen nur fernsehen. «
    » Soll ich euch was mitbringen? «
    » Boris mag die Cocktail-Würstchen, die du mit nach Hause bringst. Und ich die Chicken Wings. Die scharfen. «
    » Sonst noch was? Wie ist es mit diesen Mini-Taquito-Dingern? Die magst du doch auch, oder? «
    » Das wäre super. «
    » Gut. Ich werde euch versorgen. Lasst nur die Finger von meinen Zigaretten, mehr verlange ich nicht. Mir ist es egal, ob ihr raucht « , fuhr sie fort und hob die Hand, um mir das Wort abzuschneiden. » Ich will euch nicht hochgehen lassen, aber jemand klaut Packungen aus dem Karton hier drin, und der kostet mich ungefähr fünfundzwanzig Dollar die Woche. «
    XIX
    Seit Boris mit dem blauen Auge aufgekreuzt war, stellte ich mir seinen Vater als specknackigen Sowjet mit Schweinsäuglein und einem Bürstenhaarschnitt vor. Tatsächlich war er, wie ich überrascht sah, als ich ihn schließlich kennenlernte, dünn und blass wie ein ausgehungerter Dichter. Bleichsüchtig und mit eingefallener Brust, rauchte er unaufhörlich, er trug billige Hemden, die in der Wäsche grau geworden waren, und trank unzählige Tassen gezuckerten Tee. Aber wenn man ihm in die Augen schaute, sah man, dass der Eindruck der Gebrechlichkeit täuschte. Er war drahtig und konzentriert, und schlechte Laune schimmerte in seinem Blick. Mit seinem schmalen Körperbau und den kantigen Gesichtszügen sah er aus wie Boris, hatte aber tückische, rot geränderte Augen und winzige, bräunliche Zähne. Er erinnerte mich an einen tollwütigen Fuchs.
    Ich hatte ihn zwar im Vorübergehen schon gesehen und ihn auch (zumindest nahm ich an, dass er es war) nachts im Haus herumpoltern hören, aber von Angesicht zu Angesicht begegnete ich ihm zum ersten Mal ein paar Tage vor Thanksgiving. Wir kamen eines Tages nach der Schule lachend und schwatzend ins Haus, und da saß er zusammengesunken am Küchentisch, vor sich eine Flasche und ein Glas. Ungeachtet seiner schäbigen Kleidung trug er teure Schuhe und jede Menge Goldschmuck, und als er mit roten Augen aufblickte, verstummten wir sofort. Etwas in seinem Gesicht riet einem trotz seiner schmächtigen Statur, ihm nicht allzu nahe zu kommen.
    » Hi « , sagte ich zögernd.
    » Hallo « , antwortete er mit versteinerter Miene und einem viel stärkeren Akzent als Boris. Dann wandte er sich an Boris und sagte etwas auf Ukrainisch. Ein kurzes Gespräch begann, das ich mit Interesse verfolgte. Es war interessant zu sehen, wie Boris sich veränderte, wenn er eine andere Sprache sprach– er wirkte lebhafter und aufmerksamer, als wohnte plötzlich eine andere, effizientere Person in seinem Körper.
    Völlig überraschend streckte Mr. Pavlikovsky mir schließlich beide Hände entgegen. » Danke « , sagte er mit schwerer Zunge.
    Ich hatte Angst, mich ihm zu nähern– als ob ich mich einem wilden Tier nähern sollte–, aber ich trat trotzdem vor und streckte linkisch ebenfalls beide Hände aus. Er nahm sie. Seine Hände fühlten sich schwielig und kalt an.
    » Du bist ein guter Mensch. « Der Blick seiner blutunterlaufenen Augen war mir entschieden zu intensiv. Ich wollte wegschauen und schämte mich dafür.
    » Gott sei mit dir und segne dich alle Tage « , sagte er. » Du bist wie ein Sohn für mich. Weil du meinen Sohn in deine Familie gelassen hast. «
    In meine Familie? Verwirrt sah ich Boris an.
    Mr. Pavlikovskys Blick richtete sich auf ihn. » Du sagst ihm, was ich gesagt habe? «
    » Er sagt, du bist ein Teil unserer Familie hier « , erklärte Boris in gelangweiltem Ton, » und wenn es jemals was gibt, das er für dich tun kann… «
    Zu meiner großen Überraschung zog Mr. Pavlikovsky mich an sich und umarmte mich fest. Ich schloss die Augen und strengte mich an, seinen Geruch zu ignorieren: Haarcreme. Schweiß, Alkohol und irgendein scharfes, unangenehm beißendes Cologne.
    » Was sollte das denn? « , fragte ich leise, als wir oben in Boris’ Zimmer waren und die Tür geschlossen hatten.
    Boris verdrehte die Augen. » Glaub mir, das willst du

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