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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Grenzen hinaus schimmerten.
    » Lass uns Wetter gucken. « Boris watete auf den Knien durch das Wohnzimmer. » Will das Wetter in Neuguinea sehen. «
    » Dann musst du es suchen. Ich weiß nicht, auf welchem Kanal. «
    » Dubai! « , schrie Boris und kippte nach vorn– und dann kam ein Brei aus russischen Wörtern. Ich erkannte einen oder zwei Flüche.
    » Anglijski! Sprich Englisch! «
    » Gibt Schnee da? « Er rüttelte an meiner Schulter. » Mann sagt, es schneit, verrückter Mann, ty wjesscháesc h ? Schnee in Dubai! Ein Wunder, Potter! Schau! «
    » Das ist Dublin, du Trottel. Nicht Dubai. «
    » Walí otsjuda! Verpiss dich! «
    Dann muss ich einen Blackout gehabt haben (ein allzu typischer Vorfall, wenn Boris eine Flasche mitbrachte), denn als Nächstes wurde mir bewusst, dass das Licht völlig anders war und ich neben einer Kotzlache auf dem Teppich vor der Schiebetür kniete und die Stirn ans Glas presste. Boris schlief fest; er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Sofa und schnarchte vergnügt. Ein Arm hing schlaff herunter. Poptschik schlief auch; sein Kinn ruhte zufrieden auf Boris’ Hinterkopf. Ich fühlte mich miserabel. Tote Schmetterlinge auf dem Wasser im Pool. Hörbares Maschinensummen. Ertrunkene Grillen und Käfer, kreiselnd in den Plastikkörben der Filter. Darüber die untergehende Sonne, grell und unmenschlich lodernd, blutrote Wolkenschichten, die an Endzeitaufnahmen von Katastrophen und Verheerungen erinnerten: Detonationen auf pazifischen Atollen, flüchtende Wildtiere vor Flammenwänden.
    Vielleicht hätte ich geweint, wenn Boris nicht da gewesen wäre. Stattdessen ging ich ins Bad und übergab mich noch einmal, und nachdem ich Wasser aus dem Hahn getrunken hatte, kam ich mit Papierhandtüchern zurück und wischte die Sauerei vom Teppich auf, obwohl ich solche Kopfschmerzen hatte, dass ich kaum etwas sehen konnte. Die Kotze hatte eine scheußlich orangegelbe Farbe von den gegrillten Chicken Wings und ließ sich nur schwer entfernen. Sie hinterließ einen Fleck, und während ich mit Geschirrspülmittel daran herumschrubbte, versuchte ich mühsam, mich an tröstlichen Gedanken an New York festzuhalten– an die Wohnung der Barbours mit dem chinesischen Porzellan und den freundlichen Pförtnern, an das zeitlose Refugium in Hobies Haus mit alten Büchern und laut tickenden Uhren, alten Möbeln und samtenen Vorhängen, mit den Sedimenten der Vergangenheit allenthalben, in stillen Zimmern, wo alles ruhig war und einleuchtend. Nachts, wenn mich die Fremdheit meiner Umgebung überwältigte, wiegte ich mich oft in den Schlaf, indem ich an seine Werkstatt dachte, an den schweren Duft von Bienenwachs und Rosenholzspänen und an die schmale Treppe hinauf in den Salon, wo staubige Sonnenstrahlen auf Orientteppiche schienen.
    Ich rufe ihn an, dachte ich. Warum nicht? Ich war immer noch betrunken genug, um das für eine gute Idee zu halten. Aber das Telefon klingelte und klingelte. Schließlich– nach zwei oder drei Versuchen und einer trostlosen halben Stunde vor dem Fernseher, wo ich, schwitzend vor Übelkeit, mit mörderischen Bauchschmerzen auf den Wetterbericht starrte (vereiste Straßen, Kaltfronten in Montana)– beschloss ich, Andy anzurufen. Ich ging in die Küche, um Boris nicht zu wecken. Kitsey kam ans Telefon.
    » Wir können uns nicht unterhalten « , sagte sie hastig, als sie begriff, dass ich es war. » Wir sind spät dran. Wir gehen essen. «
    » Wo? « Ich blinzelte. Mein Kopf tat immer noch so weh, dass ich kaum aufrecht stehen konnte.
    » Zu den Van Nesses, drüben in der Fifth. Freunde von Mum. «
    Im Hintergrund hörte ich unverständliches Geheul von Toddy, und Platt brüllte: » Lass mich in Ruh e ! «
    » Kann ich Andy kurz sprechen? « Ich blickte starr auf den Küchenfußboden.
    » Nein, wirklich, wir– Mum, ich komme schon! « , hörte ich sie schreien. » Alles Gute zu Thanksgiving. «
    » Gleichfalls « , sagte ich. » Grüß alle von mir « – aber da hatte sie schon aufgelegt.
    XXI
    Meine Befürchtungen in Bezug auf Boris’ Vater hatten sich ein wenig gelegt, nachdem er meine Hände ergriffen und mir dafür gedankt hatte, dass ich mich um Boris kümmerte. Obwohl Mr. Pavlikovsky ( » Mister! « , krähte Boris) wirklich furchterregend aussah, war ichdoch zu der Auffassung gekommen, dass er nicht ganz so schrecklich war, wie es den Anschein hatte. In der Woche nach Thanksgiving fanden wir ihn zweimal nach der Schule in der Küche. Er murmelte einpaar freundliche Worte,

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