Der Distelfink
ermüdend wie irgendetwas aus Analysis: Konzepte und Lösungen.
Aber auch wenn ich mich (leidlich erfolgreich) bemühte, desinteressiert zu tun, und ihm scheinbar gleichgültig durch Manhattan folgte, klebte ich in Wahrheit mit derselben Ängstlichkeit an ihm, mit der Poptschik in Vegas– verzweifelt einsam– ständig hinter Boris und mir hergelaufen war. Ich ging mit ihm zu versnobten Lunches. Ich ging mit ihm zu Schätzungen. Ich ging mit ihm zu seinem Schneider. Ich ging mit ihm zu schlecht besuchten Vorträgen über obskure Möbeltischler aus dem Philadelphia der 1770er Jahre. Ich ging mit ihm zu Konzerten des Opera Orchestra, obwohl die so langweilig waren und sich so endlos hinzogen, dass ich Angst hatte, ich könnte tatsächlich einschlafen und in den Gang fallen. Ich ging mit ihm zu Abendessen bei den Amstisses (in der Park Avenue und unbehaglich nahe bei den Barbours), den Vogels, den Krasnovs und den Mildebergers, wo die Konversation entweder zum Schielen öde war oder mein Verständnis so weit überstieg, dass ich nie viel mehr sagen konnte als Hmmm. ( » Armer Junge, das muss hoffnungslos uninteressant für dich sein « , sagte Mrs. Mildeberger fröhlich, offenbar ohne zu begreifen, wie wahr sie gesprochen hatte.) Andere Freunde wie Mr. Abermathy– etwa so alt wie mein Dad und in der Vergangenheit in irgendeinen nur spärlich erwähnten Skandal oder eine Schmach verwickelt– waren so sprunghaft und eloquent, so komplett abschätzig mir gegenüber ( » Und wie, sagtest du, bist du an dieses Kind gekommen, James? « ), dass ich sprachlos, schüchtern und überfordert zwischen chinesischen Antiquitäten und griechischen Vasen saß, etwas Schlaues sagen wollte und gleichzeitig Angst hatte, in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit zu erregen. Mindestens ein oder zwei Mal die Woche besuchten wir Mrs. DeFrees in ihrem mit Antiquitäten vollgestopften Stadthaus (der Uptown-Entsprechung von Hobies) in der East 36th Street, wo ich auf der Kante eines dürren Stuhls hockte und versuchte, ihre furchterregenden Bengalkatzen zu ignorieren, die ihre Krallen in meine Knie gruben ( » Er ist ein aufgewecktes Geschöpf, nicht wahr? « , hörte ich sie nicht direkt sotto voce sagen, als sie sich auf der anderen Seite des Zimmers über ein paar Aquarelle von Edward Lear beugten). Manchmal begleitete sie uns zu Christie’s oder Sotheby’s, wo Hobie jeden Preis studierte, Schubladen aufzog und zuschob, mich auf diverse handwerkliche Details hinwies, sich in seinem Katalog mit Bleistift Notizen machte, bevor sie nach Zwischenstationen in einer oder zwei Galerien in die 36th Street zurückkehrte und wir ins Sant Ambroeus gingen, wo Hobie in seinem schicken Anzug an der Bar stand und einen Espresso trank, während ich ein Schokoladencroissant aß, die Jugendlichen beobachtete, die mit Büchertüten hereinkamen, und hoffte, dass ich niemanden von meiner alten Schule traf.
» Möchte dein Dad noch einen Espresso? « , fragte der Barkeeper, als Hobie sich entschuldigt hatte, um auf die Toilette zu gehen.
» Nein danke, nur die Rechnung, glaube ich. « Ich war erbärmlich begeistert, wenn Leute Hobie für meinen Vater hielten. Obwohl er alt genug war, mein Großvater zu sein, strahlte er eine Vitalität aus, die mehr zu den europäischen Dads passte, die man in der East Side sah– gepflegte, gesetzte, selbstbeherrschte Väter in zweiter Ehe, die mit fünfzig oder sechzig Kinder hatten. In seinem Galerie-Outfit an einem Espresso nippend und friedlich auf die Straße blickend hätteer auch ein Schweizer Industriemagnat oder ein Restaurantbesitzer mit ein oder zwei Michelin-Sternen sein können: gediegen, spät verheiratet und wohlhabend. Warum, dachte ich traurig, wenn er, den Mantel über den Arm gelegt, zurückkehrte, hatte meine Mutter nicht jemanden wie ihn geheiratet– oder Mr. Bracegirdle, jemanden, mit dem sie tatsächlich etwas gemeinsam hatte? Vielleicht älter, aber sympathisch, jemanden, der Galerien und Streichquartette mochte, in Antiquariaten stöberte, jemanden, der aufmerksam, kultiviert und freundlich war? Der sie geschätzt, ihr hübsche Kleider gekauft, ihr zum Geburtstag eine Reise nach Paris geschenkt und ihr das Leben geboten hätte, das sie verdient hatte? Es wäre ihr nicht schwergefallen, so jemanden zu finden, wenn sie es versucht hätte. Männer hatten sie geliebt: Von den Portiers über meine Lehrer und die Väter meiner Klassenkameraden bis hin zu ihrem Chef Sergio (der sie aus mir unbekannten
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