Der Distelfink
eine Schlagzeile ins Auge fiel:
MEISTERWERKE AUS DEM MUSEUM IN DER BRONX WIEDEREN TDECKT
GESTOHLENE KUNST IM MILLIONENWERT
Ich blieb auf dem Bürgersteig stehen, Pendler strömten zu beiden Seiten an mir vorbei. Dann machte ich kehrt– steif, mit klopfendem Herzen und dem Gefühl beobachtet zu werden–, kaufte ein Exemplar (der Erwerb einer Zeitung war für einen Jungen meines Alters doch gewiss weniger verdächtig, als er mir vorkam?) und rannte über die Straße zu den Bänken an der Sixth Avenue, um zu lesen.
Auf einen anonymen Tipp hin hatte die Polizei in einem Wohnhaus in der Bronx drei Gemälde gefunden– einen George van der Mijn, einen Wybrand Hendriks und einen Rembrandt, die alle seit der Explosion in dem Museum vermisst worden waren. Die Gemälde waren in Silberfolie eingewickelt in einem Lagerraum auf dem Speicher zwischen einer Reihe von Ersatzfiltern für die zentrale Klimaanlage des Hauses versteckt. Der Dieb, sein Bruder und die Schwiegermutter des Bruders– Besitzerin der Immobilie– waren in Untersuchungshaft und warteten auf ihre Kautionsanhörung; wenn sie in allen ihnen vorgeworfenen Punkten für schuldig befunden wurden, drohte ihnen eine Gesamtstrafe von bis zu zwanzig Jahren.
Es war ein seitenlanger Artikel mit einer Chronologie der Ereignisse und Grafiken. Der Dieb– ein Rettungssanitäter– war nach dem Aufruf zur Evakuierung zurückgeblieben, hatte die Gemälde von der Wand genommen, sie in ein Tuch gewickelt, unter einer faltbaren Trage versteckt und damit unbemerkt das Museum verlassen. » Ausgewählt ohne jeden Blick für den Wert « , erklärte der FBI -Ermittler, der für den Artikel interviewt worden war. » Hat einfach zugegriffen. Der Typ hatte nicht die leiseste Ahnung von Kunst. Nachdem er die Gemälde nach Hause geschafft hatte, wusste er nicht, was er mit den Bildern anfangen sollte, beriet sich mit seinem Bruder, und gemeinsam versteckten sie die Werke im Haus der Schwiegermutter, ohne deren Wissen, wie sie behauptet. « Nach einer kurzen Internetrecherche hatten die Brüder offenbar begriffen, dass der Rembrandt zu berühmt war, um ihn zu verkaufen, doch ihr Versuch, eines der weniger bekannten Werke abzusetzen, hatte die Ermittler schließlich zu dem Versteck auf dem Speicher geführt.
Aber vor allem der letzte Absatz des Artikels sprang mir ins Auge, als wäre er in roter Schrift gedruckt.
Auch was weitere nach wie vor vermisste Kunstwerke betrifft, haben die Ermittler neue Hoffnung geschöpft, und die Behörden verfolgen mehrere Spuren in der Region. » Je öfter man die Bäume schüttelt, desto mehr fällt herunter « , sagte Richard Nunnally von der Kunstraub-Abteilung des FBI . » In der Regel schaffen Kunstdiebe ihre Beute möglichst schnell außer Landes, doch der Fund in der Bronx bestätigt den Verdacht, dass wahrscheinlich eine Reihe von Amateuren am Werk waren, unerfahrene Laien, die aus einem Impuls heraus gestohlen haben und nicht über das Know-how verfügen, die Objekte zu verkaufen oder zu verstecken. « Laut Nunnally werden zur Stunde einige am Tatort anwesende Personen erneut kontaktiert und durchleuchtet: » Natürlich denken wir jetzt, dass sich viele dieser vermissten Bilder womöglich hier in der Stadt direkt vor unserer Nase befinden. «
Mir wurde übel. Ich stand auf, warf die Zeitung in den nächsten Mülleimer und streifte– anstatt die U-Bahn zu nehmen– zurück über die Canal Street und eine Stunde lang in der Eiseskälte durch Chinatown, Tee-Salons mit billigem Elektronippes und blutroten Teppichen, starrte durch beschlagene Fenster auf Mahagoniständer mit gegrillter Peking-Ente und dachte: Scheiße, Scheiße. Rotwangige Straßenverkäufer, eingepackt wie Mongolen, priesen über qualmenden Rosten ihre Ware an. Distriktsstaatsanwalt. FBI . Neue Informationen. Wir sind entschlossen, diese Fälle mit aller gesetzlichen Härte strafrechtlich zu verfolgen, und absolut zuversichtlich, dass schon bald weitere vermisste Werke auftauchen werden. Interpol, die UNESCO und andere nationale und internationale Agenturen arbeiten in dieser Sache eng mit den lokalen Behörden zusammen.
Überall tauchte die Nachricht auf. Sämtliche Zeitungen brachten etwas darüber: Sogar zwischen chinesischen Schriftzeichen in Mandarin blickte mir aus Kisten mit nicht identifizierbarem Gemüse und Aalen auf Eis der wiedergefundene Rembrandt entgegen.
» Wirklich beunruhigend « , sagte Hobie später am Abend beim Essen mit den Amstisses, die Stirn
Weitere Kostenlose Bücher