Der Distelfink
nehmen es, wie es kommt. Ein Stück nach dem anderen. Etwas anderes können wir nicht tun. «
» Hör zu, ich wollte nur klarstellen « , seine Ruhe quälte mich, » die Verantwortung liegt bei mir. Wenn es eng wird. Ich will bloß, dass du das weißt. «
» Sicher. « Als er den Pinsel bewegte, waren seine Bewegungen flink, routiniert, reflexartig, eigenartig beunruhigend. » Trotzdem, wollen wir es für heute dabei belassen, ja? Nein « , sagte er, als ich noch etwas sagen wollte, » bitte. Ich möchte, dass du dich darum kümmerst, und ich werde dir helfen, wo ich kann, wenn es ein konkretes Problem gibt, aber ansonsten möchte ich nicht mehr darüber sprechen. In Ordnung? «
Draußen: Regen. Im Keller war es feucht, eine hässliche unterirdische Kühle. Ich stand da, sah ihm zu und wusste nicht, was ich sagen sollte.
» Bitte. Ich bin nicht wütend, ich will bloß hiermit weiterkommen. Es wird schon alles gut werden. Und jetzt geh bitte nach oben, ja? « , sagte er, als ich weiter dastand. » Das ist ein kniffliges Stück Arbeit, ich muss mich wirklich konzentrieren, wenn ich es nicht vermasseln will. «
XVII
Stumm ging ich über ächzende Stufen nach oben und vorbei an den provozierenden Bildern von Pippa, die anzusehen ich nicht ertragen konnte. Als ich heruntergekommen war, hatte ich gedacht, mit den leichten Neuigkeiten anzufangen, um dann zu dem eigentlichen Knaller zu kommen. Aber so schmutzig und illoyal, wie ich mich fühlte, brachte ich es nicht übers Herz. Je weniger Hobie über das Gemälde wusste, desto sicherer würde er sein. Es war in jeder Beziehung falsch, ihn in die Sache hineinzuziehen.
Trotzdem wünschte ich, ich könnte mit jemandem reden, jemandem, dem ich vertraute. Alle paar Jahre erschien ein neuer Zeitungsartikel über die vermissten Meisterwerke, die neben meinem Distelfinken und zwei ausgeliehenen van der Asts auch mehrere wertvolle mittelalterliche Werke und eine Reihe altägyptischer Antiquitäten umfassten. Gelehrte hatten Aufsätze geschrieben, es gab sogar Bücher, und auf der FBI -Website wurde der Fall unter den zehn größten Kunstverbrechen geführt. Bisher hatte es mich ungemein beruhigt, dass die meisten Menschen vermuteten, dass der Dieb, der sich mit den van der Asts aus den Galerien 29 und 30 davongemacht hatte, auch mein Gemälde gestohlen hatte. In der Galerie 32 hatte man die meisten Leichen in der Nähe des zerstörten Eingangs gefunden; laut Ermittlungen hatte es zwischen Explosion und dem Einbrechen des Türsturzes eine Verzögerung von zehn, vielleicht sogar dreißig Sekunden gegeben, gerade genug Zeit, dass noch einige Leute entkommen konnten. Man hatte die Trümmer der Galerie 32 mit Schutzhandschuhen, Staubbürste und penibler Sorgfalt durchsucht und den Rahmen von Der Distelfink auch unbeschädigt gefunden (und leer an seine Wand im Mauritshuis in Den Haag gehängt, » als Erinnerung an den unersetzlichen Verlust unseres kulturellen Erbes « ), jedoch keine bestätigten Fragmente des Gemäldes an sich, keine Splitter, Bruchteile alter Nägel oder Reste des typischen Bleizinngelb-Pigments. Aber es war ein Gemälde auf Holz, und es ließe sich argumentieren (wie es ein eitler prominenter Historiker, dem ich überaus dankbar war, auch vehement getan hatte), dass der Distelfink aus dem Rahmen in das große Feuer im Bereich des Museumsshops geschleudert worden war, dem Epizentrum der Explosion. Ich hatte ihn in einer Dokumentation auf PBS gesehen, in der er bedeutungsvoll vor dem leeren Rahmen im Mauritshuis auf und ab stolzierte und energisch und medienerfahren in die Kamera blickte. » Dass dieses winzige Meisterwerk die Explosion der Pulvermühle in Delft überlebt hat, nur um Jahrhunderte später in einer anderen von Menschen ausgelösten Explosion sein Schicksal zu finden, ist eine jener romanhaften Wendungen des Lebens wie bei O. Henry oder Guy de Maupassant. «
Was meine Person betraf, lautete die offizielle Geschichte– abgedruckt in einer Reihe von Quellen und als Wahrheit akzeptiert–, dass ich mehrere Räume von Der Distelfink entfernt war, als die Bombe hochging. Im Laufe der Jahre hatte es etliche Interviewanfragen gegeben, die ich alle abwies, doch zahlreiche Menschen, Augenzeugen, hatten meine Mutter in ihren letzten Augenblicken in der Galerie24 gesehen, die schöne dunkelhaarige Frau in dem Seidentrench, und viele der Augenzeugen hatten mich neben ihr verortet. Vier Erwachsene und drei Kinder waren in Galerie 24 ums Leben gekommen– und
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