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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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hätte werden können.
    » Du kennst ihn? Wer ist das? «
    » Hm. « Hobie tastete unbehaglich seine Brusttasche ab und suchte nach einer Zigarette, die er nicht rauchen durfte.
    » Du kennst ihn? « , wiederholte ich drängender. Unwillkürlich warf ich einen Blick hinüber zu Havistock an der Bar. In heiklen Angelegenheiten war es manchmal schwer, Hobie die Würmer aus der Nase zu ziehen. Er neigte dann dazu, das Thema zu wechseln, zu verstummen oder ins Unbestimmte abzudriften, und der am wenigsten geeignete Ort dazu, ihn etwas zu fragen, war ein Raum voller Leute, in dem irgendein geselliger Mensch heranspazieren und ihn unterbrechen konnte.
    » Kennen würde ich nicht sagen. Wir hatten schon miteinander zu tun. Was macht er hier? «
    » Ein Freund der Braut « , sagte ich– und kassierte einen verblüfften Blick wegen des Tonfalls, in dem ich gesprochen hatte. » Wie gut kennst du ihn? «
    Er blinzelte heftig. » Na ja « , sagte er widerstrebend, seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Welty und ich kannten ihn als Sloane Griscam. Aber sein richtiger Name– ganz anders. «
    » Wer ist er? «
    » Ein Klopfer « , sagte Hobie knapp.
    » Okay « , sagte ich, als ich mich nach einer kurzen Pause wieder gefasst hatte. Ein Klopfer war in unserer Branche ein Haifisch, der bei alten Leuten anklopfte und sich bei ihnen einschmeichelte, um sie um ihre Wertsachen zu betrügen und manchmal auch regelrecht zu beklauen.
    » Ich… « Hobie wippte auf den Fersen und schaute unbeholfen weg. » Hier kann er reiche Beute machen, das steht fest. Er– und sein Partner auch. Teuflisch gerissen, die zwei. «
    Ein strahlend lächelnder Glatzkopf mit Priesterkragen schlängelte sich auf uns zu. Ich drehte mich mit verschränkten Armen von ihm weg und versperrte ihm den Weg in der Hoffnung, Hobie würde ihn nicht kommen sehen und seine Geschichte unterbrechen, um ihn zu begrüßen.
    » Lucian Race. Das war zumindest der Name, den er benutzte. Oh, sie waren ein feines Pärchen. Verstehst du– Havistock oder Sloane oder wie immer er sich jetzt nennt, schwatzte alte Ladys an– und alte Gentlemen auch–, fand heraus, wo sie wohnten, kam zu Besuch… pirschte sich bei Wohltätigkeitsveranstaltungen an sie heran, bei Beerdigungen, Versteigerungen bedeutender Americana, überall. Wie auch immer « , er betrachtete sein Glas, » er kreuzte dann mit seinem entzückenden Freund auf, mit Mr. Race, und wenn die alten Schätzchen abgelenkt waren… wirklich, es war schrecklich. Schmuck, Bilder, Uhren, Silber, alles, was sie in die Finger bekamen. Tja « , sagte er in verändertem Ton. » Ist lange her. «
    Ich brauchte jetzt so dringend etwas zu trinken, dass ich Mühe hatte, nicht dauernd zur Bar hinüberzublicken. Schon sah ich, wie Toddy mich einem älteren Ehepaar zeigte. Die beiden lächelten mich erwartungsvoll an, als wollten sie herüberschlurfen und sich vorstellen. Störrisch wandte ich ihnen den Rücken zu. » Alte Leute? « , sagte ich fragend zu Hobie und hoffte, ihm noch ein bisschen mehr zu entlocken.
    » Ja– ich sag’s nicht gern, aber sie haben ein paar ziemlich hilflose Leute ausgenommen. Jeden, von dem sie ins Haus gelassen wurden. Viele der Alten hatten ja nicht viel; da konnten sie dann auf einen Schlag alles abräumen. Aber wenn es wirklich fette Beute zu machen gab? Oh, da wurden wochenlang Obstkörbe geliefert und vertrauliche Gespräche geführt und Hände getätschelt. «
    Der Priester oder Prediger, oder was immer er sein mochte, hatte gesehen, dass ich beschäftigt war, und hatte freundlich die Hand gehoben– später!–, als er im Gedränge vorübertrieb, und ich lächelte ihm dankbar zu. War er der Episkopalbischof, Father So-und-so, der uns trauen sollte? Oder einer der katholischen Priester der Gemeinde von St. Ignatius, der Mrs. Barbour sich angeschlossen hatte, nachdem Andy und Mr. Barbour gestorben waren?
    » Aalglatt, die zwei. Manchmal gaben sie sich als Experten für alte Möbel aus, boten kostenlose Gutachten an und bekamen auf diese Weise einen Fuß in die Tür. Oder, in wirklich schlimmen Fällen, wenn die Leute bettlägerig und senil waren, belogen sie die Pflegedienstmitarbeiter und gaben sich als Verwandte aus. Trotz und alledem… « Hobie schüttelte den Kopf. » Hast du denn schon was gegessen? « Das war die Stimme, mit der er das Thema wechselte.
    » Ja « , sagte ich, obwohl das nicht stimmte. » Danke, aber sag mal… «
    » Oh, gut! « Erleichtert. » Da drüben gibt’s Austern und

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