Der Distelfink
geglättet, nicht mit der Hand gehobelt (eine empfindsame Fingerspitze erspürte eine maschinengeglättete Kante selbst bei schlechtem Licht), aber vor allem war das Holz von flacher, lebloser Beschaffenheit, und ihm fehlte ein bestimmter Glanz, die Magie, die entstand, wenn etwas jahrhundertelang von Menschenhand berührt, benutzt und weitergegeben wurde. Die Betrachtung des Lebens dieser würdevollen alten Highboys und Sekretäre– ein längeres, sanfteres als das menschliche Leben– ließ mich in Ruhe versinken, wie ein Stein in tiefes Wasser sinkt, und so trat ich, wenn es Zeit zum Gehen war, betäubt blinzelnd in das Geplärr der Sixth Avenue hinaus und wusste kaum, wo ich war.
Mehr noch als die Werkstatt ( » das Hospital « , wie Hobie sie nannte) genoss ich Hobie: sein müdes Lächeln, die Eleganz seiner lässigen Haltung, seine aufgekrempelten Ärmel und seine entspannte, scherzhafte Art, die Handwerkergewohnheit, sich mit der Innenseite des Handgelenks über die Stirn zu wischen, seine geduldige Gutmütigkeit und seine unerschütterliche Vernunft. Aber so beiläufig und sporadisch unsere Unterhaltung auch war, sie war doch niemals simpel. Selbst ein unbeschwertes » Wie geht’s? « war eine nuancierte Frage, ohne dass es so klang, und meine unveränderliche Antwort ( » prima « ) konnte er mühelos deuten, ohne dass ich irgendetwas ausdrücklich buchstabieren musste. Und obwohl er selten bohrte oder nachfragte, hatte ich das Gefühl, er verstand mich besser als die verschiedenen Erwachsenen, deren Beruf es war, » in meinen Kopf hineinzuschauen « , wie Enrique es gern ausdrückte.
Aber vor allem mochte ich ihn, weil er mich als eigenständigen Kameraden und Gesprächspartner behandelte. Da kam es nicht darauf an, dass er manchmal über seine Nachbarin reden wollte, die ein neues Kniegelenk bekommen hatte, oder über ein Konzert mit alter Musik, das er Uptown gehört hatte. Wenn ich ihm von einem komischen Ereignis in der Schule erzählte, war er ein aufmerksamer und dankbarer Zuhörer. Anders als Mrs. Swanson (die immer erstarrte und erschrocken aussah, wenn ich einen Witz machte) oder Dave (der zwar kicherte, aber verklemmt und immer einen Tick zu spät) lachte er gern, und ich liebte die Geschichten aus seinem eigenen Leben, die er mir erzählte: von den wilden, spät verheirateten Onkeln und den naseweisen Nonnen seiner Kindheit, von dem drittklassigen Internat an der kanadischen Grenze, wo sämtliche Lehrer Säufer gewesen waren, von dem großen Haus in Upstate New York, das sein Vater so kalt gehalten hatte, dass innen an den Fensterscheiben Eis entstanden war, von grauen Dezembernachmittagen, an denen er Tacitus oder Motleys » Aufstieg der Niederländischen Republik « gelesen hatte. ( » Ich habe Geschichte geliebt, schon immer. Der nicht gegangene Weg! Mein größer Kindheitsehrgeiz war es, Professor für Geschichte am Notre Dame College zu werden. Obwohl– was ich jetzt tue, ist wohl auch nur eine Art, mit der Geschichte zu arbeiten. « ) Er erzählte mir von seinem auf einem Auge blinden, von Woolworth’s geretteten Kanarienvogel, der ihn an jedem Morgen seiner Kindheit mit Gesang geweckt hatte, von dem Anfall von rheumatischem Fieber, der ihn sechs Monate ans Bett gefesselt hatte, und von der verrückten kleinen, antiken Nachbarschaftsbücherei mit den Deckenfresken ( » leider inzwischen abgerissen « ), in die er gegangen war, um seinem Zuhause zu entkommen. Von Mrs. De Peyster, der einsamen alten Erbin, die er nach der Schule besucht hatte, einer früheren Schönheit von Albany und Lokalhistorikerin, die Hobie umgluckt und ihn mit Dundee-Cake gefüttert hatte, den sie sich in Konserven aus England schicken ließ, und die mit Vergnügen stundenlang dagestanden und Hobie jedes einzelne Stück in ihrer Porzellansammlung erklärt hatte. Unter anderem hatte ihr das Mahagoni-Sofa gehört– Gerüchten zufolge aus dem Besitz von General Herkimer–, das sein Interesse an Möbeln überhaupt erst geweckt hatte. ( » Obwohl ich mir nicht so recht vorstellen kann, wie General Herkimer sich auf diesem dekadenten alten, gräzistisch anmutenden Möbelstück räkelt. « ) Er erzählte von seiner Mutter, die kurz nach seiner drei Tage alten Schwester gestorben war und Hobie als Einzelkind zurückgelassen hatte, und von dem jungen Jesuitenpater, einem Football-Coach, der– telefonisch alarmiert von einem panischen irischen Hausmädchen, als Hobies Vater den Jungen mit seinem Gürtel » praktisch
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