Der Domino-Killer
einfach nicht, ihn zu schnappen.»
«Können wir bitte fahren?»
Wir stiegen ein. Mac steuerte den Wagen vom Parkplatz und auf die Straße. Andrea hatte mich und meine Eltern zum Essen eingeladen, und Mac sollte mich bei ihr absetzen. Ich hatte überlegt, ob ich ihn dazubitten sollte, war jetzt aber nicht mehr sicher, ob ich das noch wollte.
«Du darfst nicht vergessen, dass Martin Price’ Foto in jedem Postamt im ganzen Land hängt. Außerdem suchen wir ihn über Internet, Zeitungen, Fernsehen. America’s Most Wanted hat vor zwei Wochen den Beitrag über ihn wiederholt, mit allen neuen Informationen zu dem Fall. Weißt du, wie viele Leute sich die Sendung ansehen?»
«Keine genauen Zahlen.»
«Millionen. Das heißt, dass die Straßen voller Menschen sind, die sich sein Gesicht gemerkt haben. Millionen Augen, die nach ihm Ausschau halten. Deshalb ist es wirklich nicht verkehrt, sich im Moment auf die Suche im Netz zu konzentrieren. Weshalb sollte er unter diesen Umständen auch nur einkaufen gehen, geschweige denn bei irgendwelchen Turnieren auftauchen?»
«Weil er ein kranker Kontrollfreak und von Spielen besessen ist?»
«Vielleicht, aber glaubst du nicht auch, dass er sich lieber versteckt und sich den Spielkick online holt?»
«Okay, Mac. Möglicherweise hast du da recht. Aber man kann sich ja trotzdem woanders umsehen.»
Damit waren wir wieder am Ausgangspunkt der Diskussion. Während ich neben Mac im Wagen saß, fühlte ich mich mit ihm einsamer als je zuvor. Dabei war er der Mensch, dem ich neben meinem Bruder, meiner Therapeutin und meiner Mutter mehr als jedem anderen vertraute. Ich spürte, wie mich wieder eine Welle der Verzweiflung zu erfassen drohte. Joyce’ Buch über das Glück hatte mich stetig daran gemahnt, dass Gefühle nicht die Realität widerspiegeln , dass der wahre Weg im Verborgenen liegt und man verborgene Wege immer nur durch Zufall entdeckte . Oberflächliche Wohlfühlphrasen, um von Kummer und Elend abzulenken. Sie gaukelten einem vor, dass man sich jederzeit eine Atempause gönnen konnte. Konnte man nicht. Es gab keine Atempausen und auch keine Rettung. Ich war schon gespannt, was Joyce dazu sagen würde, wenn ich ihr bei unserer nächsten Therapiestunde von dieser neuen Erkenntnis berichtete.
Damit Mac nicht bemerkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, drehte ich den Kopf weg und schaute aus dem Beifahrerfenster, während wir zum Haus meines Bruders in der Walton Avenue fuhren.
Lauter gewissenhaft gemähte Rasenflächen vor hübschen Häusern, in denen glückliche Familien lebten. Eine neben der anderen. So viele glückliche Familien, die an uns vorüberflogen wie ein Traum, der für mich unerreichbar blieb. Es war eine Welt, aus der ich auf ewig ausgeschlossen war. Ich sehnte mich danach, dorthin zurückzukehren. Doch für mich war es zu spät. Nachdem man mich nun wieder zusammengeflickt hatte und meine Wunden heilten, wollte ich einfach nur noch aufhören zu kämpfen. Aufgeben. Mich von ihm finden lassen. Ich schloss die Augen und betete, dass Mac den Wagen vor die Wand fuhr. Dann betete ich, dass er es nicht tat … denn er war gerade in die Straße gebogen, wo Jon und Andrea wohnten … und draußen vor ihrem Haus spielte Susanna. Sie trug ein gelbes Sommerkleidchen, ein ganz ähnliches hatte ich Cece einmal gekauft, schob ihren Puppenwagen hin und her und wartete auf mich.
Auf der anderen Straßenseite war wie immer der Van mit dem Überwachungsteam geparkt. Im Haus meines Bruders, genau wie in dem meiner Eltern und jetzt auch in meiner Wohnung in Brooklyn, hatte man JPP eine elektronische Falle gestellt, in die er tappen sollte, falls er sich in die Nähe wagte. Jetzt, da ich wusste, wie sehr die verkleinerte SOKO sich auf JPPs Spuren im Internet konzentrierte, bekam ich ein mulmiges Gefühl angesichts dieser Vorkehrungen. Schnurlose Kameras und Kommunikationsanlagen, die unsichtbar an ein Alarmsystem angeschlossen waren. Das reichte nicht.
Meine Eltern saßen im Vorgarten auf weißen Plastikstühlen und sahen Susanna beim Spielen zu, als Mac und ich in die Einfahrt fuhren. Sie sah wirklich hinreißend aus in dem gelben Kleid, wie sie mit dem Puppenwagen über den unebenen Rasen flitzte. Ein unerwarteter Ruck, und ihre Puppe fiel ins Gras. Susanna hob sie an einem Arm hoch und beförderte sie zurück in den Wagen. Dann bemerkte sie, dass wir da waren, und schaute herüber. Bei meinem Anblick lächelte sie fröhlich. Meine Eltern winkten zur Begrüßung.
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