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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gut, doch dumm erklärt. Sie lernte so viele Dinge, hatte so viel zu hören und zu sehen, daß ihre Miene und ihre Gespräche diesem Urteil einen Anschein von Richtigkeit gaben. Ueberdies zeigte sie eine gewisse Erstarrung, die dem Mangel an Geist glich. Die Ehe, dieser harte Beruf, wie sie sagte, dem gegenüber die Kirche, das Gesetzbuch und ihre Mutter ihr die größte Ergebung, den vollkommensten Gehorsam anempfohlen hatten, wollte sie nicht gegen alle Menschengesetze verstoßen und nicht wieder gutzumachendes Unglück anrichten, stürzte sie in eine Betäubung, die sich manchmal fast bis zum Delirium steigerte. Indem sie, gemäß einem Ausdrucke Fontenelles, die heftigste Schwierigkeit zu sein verspürte, die ständig wuchs, war sie über sich selber erschrocken. Die Natur sträubte sich gegen die Befehle der Seele, und der Körper verkannte den Willen. Die arme in der Schlinge gefangene Kreatur weinte am Busen der großen Mutter der Armen und Niedergebeugten, sie nahm ihre Zuflucht zur Kirche, verdoppelte ihre Inbrunst, vertraute des Teufels Nachstellungen ihrem tugendhaften Beichtvater an und betete. Zu keiner Zeit ihres Lebens erfüllte sie ihre religiösen Pflichten mit mehr Begeisterung wie damals. Die Verzweiflung, ihren Gatten nicht zu lieben, stürzte sie mit Wucht zu den Füßen der Altäre, wo göttliche und trostreiche Stimmen ihr Geduld anempfahlen. Sie wurde geduldig und sanft; sie fuhr fort zu leben, indem sie die Glückseligkeiten der Mutterschaft erwartete.
    »Haben Sie Madame Graslin heute morgen gesehen?« sprachen die Frauen untereinander, »die Ehe bekommt ihr nicht, sie sah grün aus.« »Ja; doch würden Sie Ihre Tochter einem Manne wie Monsieur Graslin gegeben haben? Ein solches Monstrum heiratet man nicht ungestraft!«
    Seit Graslin sich verehelicht hatte, überhäuften ihn alle Mütter, die zehn Jahre lang auf ihn Jagd gemacht hatten, mit Epigrammen. Véronique magerte ab und ward wirklich häßlich. Ihre Augen wurden matt, ihre Züge vergröberten sich, sie erschien schamhaft und bedrückt. Ihre Blicke zeigten jene, Frömmlerinnen so sehr vorgeworfene traurige Kälte. Ihr Gesicht nahm graue Töne an. Sie schleppte sich kraftlos durch das erste Ehejahr hin, das für junge Frauen gewöhnlich so herrlich ist. Auch suchte sie bald Zerstreuungen in der Lektüre und nutzte das Privilegium, alles lesen zu dürfen, aus, welches man verheirateten Frauen einräumt. Sie las Walter Scotts Romane, Lord Byrons Gedichte, Schillers und Goethes Werke, kurz, die neue und die alte Literatur. Sie lernte reiten, tanzen und zeichnen. Sie machte Aquarelle und malte in Sepia, indem sie mit Eifer alle Hilfsmittel herbeisuchte, die Frauen der Langeweile der Einsamkeit entgegenstellen. Kurz, sie gab sich jene zweite Erziehung, die die Frauen fast alle von einem Manne erhalten und die sie nur durch sich selber erhielt. Die Ueberlegenheit einer aufrichtigen, freien, wie in der Wüste auferzogenen, durch die Religion aber befestigten Natur hatte ihr etwas wie eine Art wilder Größe und Anforderungen verliehen, für welche die Provinzgesellschaft ihr keine Nahrung zu bieten vermochte.
    Alle Bücher malten ihr die Liebe aus, sie machte eine Anwendung ihrer Lektüren und merkte nichts von Leidenschaft. Die Liebe blieb in ihrem Herzen im Zustande jener Keime, die auf einen Sonnenstrahl warten. Ihre tiefe Melancholie, verursacht durch beständiges Nachdenken über sich selber, führte sie auf dunklen Pfaden wieder zu den schimmernden Träumen ihrer letzten Jungmädchentage zurück. Sie mußte mehr als einmal über ihre alten romantischen Gedichte nachdenken, indem sie dann zugleich ihr Schauplatz und ihr Gegenstand wurde. Sie sah jene in Licht gebadete, blühende, duftüberströmte Insel wieder, wo alles ihre Seele liebkoste. Oft umfingen ihre trüben Augen die Salons mit einer durchdringenden Neugierde: die Männer darinnen glichen alle Graslin, sie studierte sie und schien ihre Frauen zu befragen; wenn sie aber irgendeinen ihrer intimen Schmerzen auf den Gesichtern wiederholt sah, wurde sie wieder düster und traurig und über sich selbst beunruhigt. Die Autoren, die sie morgens gelesen hatte, entsprachen ihren höchsten Gefühlen, ihr Geist gefiel ihr; und am Abend hörte sie Banalitäten, die man nicht einmal unter geistreichen Formen verbarg, dumme, leere oder von Lokalinteressen, persönlichen Interessen, die keine Wichtigkeit für sie hatten, vollgestopfte Unterhaltungen. Sie wunderte sich über die Hitze, die man

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