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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Aldo in Sicherheit. Réa brauchte mich nicht mehr. Rosa hatte die Regie übernommen. Jäh erinnerte ich mich an unseren ekstatischen letzten Herbst beim Kostümfest. Danach hatte man uns applaudiert, doch ich hatte mich gefühlt, als sei ich gerade noch davongekommen. Das hatte mir Rosa damals doch gesagt: Sie haben sich tapfer gehalten, Henry. Es hatte spöttisch geklungen. Mich verunsichert. Und nicht anders fühlte ich mich auch jetzt: verunsichert, verwirrt, abgemeldet. Im Übrigen riss mich Che-Che, der die Lust am Schnuppern verloren hatte, ungestüm vorwärts. Er wollte nur noch nach Hause. Das passt ja, dachte ich mit Zorn und endlich auch wieder etwas Galgenhumor: Sogar der Hund bestimmte jetzt, wo’s langging. Da ich ihn nicht bremste, kamen wir zügig voran und ich merkte, wie gut mir das schnelle Ausschreiten tat. Wenn ich es mir recht überlegte, war eigentlich nichts anderes geschehen, als dass ein Mann von einem Auto in ein anderes umgestiegen und verschwunden war. Wer verschwindet, löst sich auf … »Alles Einbildung«, entfuhr mir und ich tastete nach der Schachtel mit den Tabletten in meiner Jackentasche.
    Ich hatte schon eine genommen und lag lesend im Bett, als Barbara sich neben mich legte. Sie schmiegte sich an mich, den Kopf auf meine Schulter gebettet.
    »Was liest du denn?«
    Natürlich wollte ich ihr antworten, doch merkte ich in diesem Augenblick, dass ich es gar nicht wusste. Wie peinlich! Ich musste im Reflex nach dem Buch gegriffen, es irgendwo aufgeschlagen und gelesen haben, ohne etwas aufzunehmen.
    »Das!« Ich hatte das Buch zugeklappt und präsentierte ihr die Titelseite: Thomas Mann, Doktor Faustus .
    »Ausgerechnet!« Barbara lächelte. »Ein Roman über zwei völlig uninteressante Dummköpfe, wenn ich mich recht erinnere. Ich hab auch mal versucht, ihn zu lesen, aber nicht durchgehalten. Wie kann man bloß aus purem Ehrgeiz ein eiskaltes Leben führen wollen?«
    Barbaras grotesk witzige Kurzfassung, aber noch mehr ihr zweideutiges Ausgerechnet hatte mich hellhörig gemacht. Aber warum zwei Dummköpfe?
    »Zwei Dummköpfe? Wer ist denn der andere?«
    »Hör mal! Einer, der sich eine Seele kauft, kann nicht bei Sinnen sein. Das geht doch gar nicht. Erstens weiß niemand so genau, was das überhaupt ist, und zum anderen löst sich jede Seele sofort auf, sobald du sie auch nur zu berühren versuchst. Flupp, ist sie weg.« Barbara lachte, hob den Kopf, biss mich ins Ohrläppchen und prustete mir ein weiteres »Flupp« ins Ohr. »Komm schon, Henry! Das ist doch wirklich komisch. Typisch Kerle. Auf die Idee, man könne mit Seelen handeln und dann noch ein dickes Buch darüber schreiben, konnte auch nur ein Mann kommen. Außerdem hab ich gar keine Lust, mit dir über Seelen zu diskutieren. Aber deine gefällt mir ganz gut, falls es dich interessiert.« Wieder lachte sie und schmiegte sich enger an mich.
    Weder war mir ihre Heiterkeit geheuer noch wurde ich den Verdacht los, sie wolle mich aus der Reserve locken. Doch warum sollte sie? Natürlich hatte sie mitbekommen, dass ich seit Tagen schlecht schlief. Irritierte sie das? Suchte sie nach den Gründen? Wenn ich mich ihr bloß anvertrauen könnte. Was hatte sie eben gesagt? Deine gefällt mir ganz gut … Du meine Güte, dachte ich. Meine Seele! In welch bizarre Sackgasse hatte mich mein Experiment geführt.
    »Henry, dir ist nicht nach Lachen, stimmt’s?«, sagte Barbara leise an meiner Brust.
    »Ja.«
    »Hast du dir deswegen Schlaftabletten besorgt?«
    »Warum …?«
    »… die Schachtel. Liegt auf deinem Nachttisch. Hast du schon …«
    »Eine. Ja.«
    Sie hob den Kopf und sah mir mit so zärtlicher Fürsorge in die Augen, dass es mir einen Stich versetzte. »Nimm ruhig noch eine. Du musst loslassen. Und endlich mal wieder richtig schlafen.«
    »Rosa Belzer ist in der Stadt. Ich habe sie durch die Auslage in der Apotheke gesehen. Aber dann ist sie auch gleich wieder weggefahren.«
    »Du musst loslassen!«, wiederholte Barbara. »Loslassen und schlafen.« Sie sprang aus dem Bett, verschwand und kam mit einem Glas Wasser zurück. Setzte sich an meine Bettseite und klaubte eine Tablette aus der Schachtel. »Nimm, trink«, sagte sie und mir schossen Tränen in die Augen. In diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, mich ihr anvertrauen zu können. Denn mir war klar geworden, dass ich sie viel inniger liebte, als es mir zustand. Aber ich brachte kein einziges Wort heraus. »Nimm, trink!«, sagte sie noch einmal. Ich gehorchte. Sie

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