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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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umher. Die Mädchen rauchen und reden und kichern. Er versteht sie nicht. Aber eindeutig sind sie frivoler Stimmung, das spürt er einfach. Können froh sein, dass der Fluss sie übertönt. Natürlich kommen sie von gegenüber. Also ist die Absperrung überwindbar. Er schiebt sich an den Rand der Böschung. Ein wenig näher wäre wirkungsvoller. Zumindest die eine trägt ihr langes Haar offen.
    Längst kost sein Daumen diesen lachhaft nachgiebigen Knopf am Kästchen. Wie viel erregender wäre ein widerspenstiger Knopf, ach! Kann sein verfluchter Verstand nicht endlich still sein? Jener andere, jener Klugscheißer in ihm soll das Maul halten. Dieser Kleingeist tyrannisiert ihn im Alltag schon genug. Der Bildungsbürger! Der empathische Schwächling. Er wird ihn ein für alle Mal zum Schweigen bringen, und zwar jetzt! Der Knopf ist gedrückt. Severin vernimmt nur ein harmloses Zischen und blickt durch den Sehschlitz in die gleiche Dunkelheit wie zuvor. Welch bittere Enttäuschung. Hat eine böse Macht ihn kurzerhand in einen schwarzen Sack gesteckt, um ihn im Fluss zu ersäufen? Nein! Ein tierisches Fauchen bricht auf und zerreißt den Sack. Ein machtvolles Fauchen. Die Nacht ist fort. Boden und Büsche leuchten rot. Roter Rauch wabert über die Böschung. Jammerschade nur, dass er das Schauspiel, das er bietet, nicht selbst beobachten kann. Und hinterhältig, dass sich der Störenfried noch einmal einmischt: Lächerlich ist das alles, peinlich, peinlich! Verflucht sei dieser Schwächling! Hier steht er hoch und erhaben und breitet die Arme aus. Doch erst die Kurzhaarige hat ihn bemerkt. Ausgerechnet die Langhaarige ist unverschämt genug, auf den Fluss hinauszublicken. Natürlich ist sie eine Heuchlerin. Herausfordern will sie ihn. Das traut sie sich? Ah, jetzt hat sie sich umgedreht und folgt dem ausgestreckten Arm der Demütigeren. Er muss näher herangehen. Macht erste Schritte die Böschung hinab. Nur sieht er fast nichts mehr. Unablässig schießen die bengalischen Feuergarben aus seinem Maskenkopf. Der ganze Abhang raucht. Roter Qualm überall. Ob sie mein fluoreszierendes Geschlecht überhaupt sehen können? Die Kurzhaarige rennt ja schon – lacht sie oder schreit sie? Und die andere? Natürlich ist sie eine Heuchlerin. Ihr schamlos gerötetes Gesicht verrät sie. Sie schiebt sich zwar rückwärts zum Steg, will aber nichts verpassen. Sie kann ihren Blick nicht abwenden. Hoho! Solch einen brünstigen Gott hast du noch nie gesehen. Die andere hangelt sich an der Schranke hoch. Während sie mit den Beinen strampelt, schreit sie wie blöd: »Am Rand rum, am Rand rum.« Severin kann noch erkennen, wie sich die Langhaarige ums Gitter herum … – da tritt er ins Leere. Etwas wirft ihn auf den Rücken. Gerade denkt er wütend, diese verdammten Schreie hätten ihm die Beine weggeschlagen, da prallt sein Hinterkopf auf. Sofort schießt das Feuer senkrecht nach oben. Den zurückstürzenden Schwallen entgeht er nur, weil er immer noch abwärtsrutscht. Endlich kann er die Fersen in den Boden stemmen und steckt im glühenden Regen fest. Garbe um Garbe kommt über ihn und jede ist eine neue Demütigung. Er wehrt sie ab. Schlägt eine Hand vors Geschlecht, die andere vor den Sehschlitz und wundert sich, wie kalt das Feuer ist. Dann hört er ein Aufklatschen und einen Schrei und hastende Schritte auf den klapprigen Brettern des Steges. Unten schießen wuchtig die Wasser durch und sind laut. Trotzdem macht er sich nichts vor. Die eiligen Schritte auf den klappernden Bohlen sind die einer einzigen Person. Nur eine flüchtet. Und weiter fällt das Feuer auf ihn.

6
Mahnwache
    Aus Henrys Aufzeichnungen
     
     
    K aum hatte Barbara im Lokalradio von der »tödlichen Hatz auf eine junge Frau« gehört, rief sie mich im Verlag an und stammelte: »Es hätte Lilith treffen können, verstehst du! Ich habe Angst, Henry! Das ist ein Monster! Ein maskierter Teufel!«
    Ich war fassungslos, beruhigte sie, so gut ich konnte.
    »Wo ist Lilith jetzt?«
    »In der Akademie. Bis sechs.«
    »Soll ich sie abholen?«
    »Bloß nicht.« Barbara meinte, mit ihren achtzehn Jahren würde Lilith eine solche Fürsorglichkeit kaum zu schätzen wissen. Aber sie sei froh, mit mir gesprochen zu haben. Sie wolle mich nicht länger aufhalten, bis heute Abend also, sie liebe mich.
    Aus der Fassung hatte mich Barbaras maskierter Teufel gebracht: Jäh war mir Aldos Maskensammlung eingefallen. Mit welcher Begeisterung er mir vor Monaten seine Kollektion gezeigt

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