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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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etwas, das man der Gesundheit wegen studiert.«
    Es ist wirklich verblüffend, dachte Simon, wie leicht es ihm fällt, mich durcheinanderzubringen. Und dies, ohne dass er es überhaupt versucht!
    Laut antwortete er: »Gesundheit? Buch der Heilkunde?«
    Binabiks Gesicht wurde unvermittelt ernst. »Es geht um dein Leben und Sterben, Simon. Du bist jetzt nicht mehr in deiner Heimat. Du bist auch nicht in meiner Heimat, obwohl ich es als Gast hier zweifellos leichter habe als du. Selbst die Sithi, so viele Zeitalter sie auch der Sonne zugesehen haben, wie sie durch die Himmel rollte, Jahr um Jahr, sogar sie erheben auf Aldheorte keinen Anspruch.« Binabik hielt inne, legte die Finger auf Simons Handgelenk und drückte es. »Dieser Ort, an dem wir stehen, dieser riesige Wald, ist der älteste aller Orte. Darum nennt man ihn mit den Worten deines Volkes ›Aldheorte‹: Er bleibt für immer das alte Herz von Osten Ard. Selbst diese jüngeren Bäume hier«, er stocherte mit dem Stab nach allen Seiten, »hielten bereits Überschwemmungen, Wind und Feuer stand, bevor euer großer König Johan auf der Insel Warinsten als Säugling seinen ersten Atemzug tat.«
    Simon schaute sich um und blinzelte.
    »Andere«, fuhr Binabik fort, »andere Bäume gibt es, von denenich einige gesehen habe, deren Wurzeln bis in den Fels der Zeit selbst hinunterreichen; älter sind sie als alle Königreiche von Menschen und Sithi, die glanzvoll emporstiegen und wieder in bröckelnde Vergessenheit zurücksanken.«
    Erneut presste Binabik sein Handgelenk, und Simon, der den Abhang hinunter in die gewaltige Senke voller Bäume sah, fühlte sich plötzlich klein, unendlich winzig wie ein Insekt, das die Steilwand eines die Wolken durchbohrenden Berges hinaufkrabbelt.
    »Warum … warum erzählst du mir das alles?«, fragte er endlich, holte tief Luft und kämpfte gegen etwas, das sich anfühlte wie Tränen.
    »Weil«, erwiderte Binabik, griff nach oben und klopfte ihn auf den Arm, »weil du nicht denken sollst, der Wald, die weite Welt, hätten auch nur das Geringste mit den Gassen und Winkeln von Erchester gemein. Du musst auf der Hut sein, und du musst nachdenken … immer nachdenken.«
    Gleich darauf war der Troll weitergegangen. Simon stolperte hinterdrein. Wie war das alles nur gekommen? Jetzt erschienen ihm die Scharen der Bäume wie eine feindselige, flüsternde Menge. Ihm war zumute, als hätte man ihn geohrfeigt.
    »Warte!«, rief er. »Worüber soll ich nachdenken?« Aber Binabik ging nicht langsamer und drehte sich nicht um.
    »Komm jetzt!«, rief er stattdessen über die Schulter. Seine Stimme war gelassen, aber kurz angebunden. »Wir müssen uns beeilen. Wenn wir Glück haben, erreichen wir den Knoch, bevor es dunkel wird.« Er pfiff Qantaqa. »Bitte, Simon«, setzte er hinzu.
    Und das waren an diesem Morgen seine letzten Worte.
    »Dort!« Endlich brach Binabik sein Schweigen. Die beiden standen auf einem Bergkamm, die Baumwipfel unter ihnen eine unebene grüne Decke. »Der Knoch.«
    Unter ihnen lagen treppenartig zwei weitere Baumreihen. Dahinter erstreckte sich ein abfallendes Grasmeer bis hinüber zu den Bergen, die sich klar in der Nachmittagssonne abzeichneten. »Das ist der Weldhelm, oder wenigstens sein Vorgebirge.« Der Troll deutete mit seinem Stab. Die im Schatten liegenden, scharf umrissenenHügel, rundlich wie die Rücken schlafender Tiere, schienen über die grüne Weite nur einen Steinwurf entfernt.
    »Wie weit sind sie weg … die Berge?«, fragte Simon. »Und wie sind wir so weit nach oben gekommen? Ich erinnere mich gar nicht ans Klettern.«
    »Geklettert sind wir auch nicht, Simon. Der Knoch ist eine Mulde, tief eingesunken, als hätte jemand ein Loch in den Boden gedrückt. Wenn du zurückschauen könntest«, er machte eine Handbewegung nach dem Kamm hinauf, »würdest du erkennen, dass unser jetziger Standort ein wenig tiefer liegt als die Ebene von Erchester. Und um auch deine zweite Frage nicht ohne Antwort zu lassen: Die Berge sind durchaus noch ein Stück entfernt, aber deine Augen täuschen dich und lassen sie dir nah scheinen. Wahrhaftig, wir sollten uns jetzt lieber an den Abstieg machen, wenn wir meinen Rastplatz noch mit der Sonne über uns erreichen wollen.«
    Der Troll wanderte ein paar Schritte den Kamm entlang. »Simon«, begann er, und als er sich umdrehte, konnte der Junge sehen, dass Kinn und Mund etwas von ihrer Verbissenheit verloren hatten, »ich muss dir sagen, dass diese Weldhelmberge zwar nur

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