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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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eiskalt und flau im Magen war, drehte sich um und spie das fade gewordene Stück Citrilwurzel aus, auf dem er herumgekaut hatte. Das königliche Zelt war so feucht und modrig wie der Boden eines Brunnens. »Noch nie hat jemand in nur vierzehn Tagen eine der großen Festungen eingenommen, selbst wenn sie schlecht verteidigt wurden – es sei denn durch Verrat; und diese Naglimunder kämpfen wie in die Enge getriebene Ratten. Habt Geduld, Hoheit, wir brauchen nur Geduld. In ein paar Monaten könnten wir sie aushungern.«
    »Monate!« Elias stieß ein hohles Gelächter aus. »Monate, sagt er, Pryrates!«
    Der rote Priester zeigte ein skelettartiges Lächeln. Jäh verstummte das Lachen des Königs, und er senkte das Kinn bis fast auf den Knaufdes langen, grauen Schwertes, das zwischen seinen Knien stand. Dieses Schwert besaß etwas, das Guthwulf ganz und gar nicht mochte, obwohl er wusste, dass es töricht war, so etwas von einem bloßen Gegenstand zu denken. Aber wohin Elias auch ging, seit einiger Zeit hatte er ständig das Schwert bei sich, als sei es ein verzärtelter Schoßhund.
    »Heute ist deine letzte Chance, Utanyeat.« Die Stimme des Königs kam dick und schwer. »Entweder ihr öffnet das Tor, oder ich muss … andere Maßnahmen ergreifen.«
    Guthwulf stand schwankend auf. »Seid Ihr von Sinnen, Elias? Seid Ihr nicht bei Euch? Wie können wir denn … die Mineure sind noch nicht halbwegs unter der Mauer durch …« Er verstummte und überlegte, ob er zu weit gegangen war. »Warum sollte es darauf ankommen, dass morgen Mittsommerabend ist?« Wieder beugte er das Knie und sagte flehend: »Sprecht mit mir, Elias.«
    Der Graf hatte einen Ausbruch seines erzürnten Königs befürchtet, zugleich aber die schwache Hoffnung gehabt, dass sich die alte Kameradschaft doch wieder einstellen könnte. Beide Erwartungen wurden enttäuscht.
    »Du kannst das nicht verstehen, Utanyeat«, erwiderte Elias, und seine starren, rotgeränderten Augen starrten auf die Zeltwand oder in die leere Luft. »Ich habe … andere Verpflichtungen. Ab morgen wird alles anders.«

    Simon hatte geglaubt, er wisse inzwischen, was der Winter sei. Nach dem Ritt durch die trostlose Öde der Wüste, nach den endlosen weißen Tagen voller Wind und Schnee und brennender Augen war er sicher gewesen, es gebe keine weiteren Lektionen mehr, die der Winter ihn lehren könne. Nach den ersten paar Tagen auf dem Urmsheim wunderte er sich selbst über eine solche Unschuld der Gedanken.
    Einer hinter dem anderen angeseilt, wanderten sie über die schmalen Eispfade und gruben sorgfältig Zehen und Ferse in den Boden, ehe sie den Schritt wirklich taten. Manchmal trieb sie aufkommender Wind vor sich her wie Laub, und sie mussten sich andie eisige Flanke des Urmsheim pressen und dort kleben bleiben, bis die Böen nachließen. Jeder Tritt hatte etwas Trügerisches. Simon, der sich als Herrscher über die Gipfel des Hochhorstes immer für einen beachtlichen Kletterer gehalten hatte, sah sich über schmale Wegspuren rutschen, mühsam festgekrallt, bei denen keine zwei Ellen zwischen Wand und Abgrund lagen und nur eine wirbelnde Wolke von Pulverschnee den Pfad von der fernen Erde trennte. Der Blick vom Engelsturm, der ihm einst als Höhepunkt der Welt erschienen war, kam ihm jetzt so kindisch und harmlos vor wie die Aussicht von einem Schemel in der Burgküche.
    Von ihrem Pfad aus konnte er bald auch andere Bergspitzen und die Wolkenwirbel sehen, die sie umgaben. Unter ihm ausgebreitet lag der Nordosten von Osten Ard, aber in so großer Ferne, dass er lieber nicht hinsah. Aus solcher Höhe hinabzuschauen tat nicht gut. Es führte dazu, dass sein Herz raste und ihm der Atem in der Kehle stecken blieb. Simon wünschte sich aus tiefster Seele, unten geblieben zu sein; jetzt aber lag seine ganze Hoffnung, je wieder herunterzukommen, im Weiterklettern.
    Er stellte fest, dass er jetzt oft betete, und hoffte, dass die Erhabenheit der Umgebung seine Worte noch schneller zum Himmel aufsteigen lassen würde.
    Die schwindelnden Höhen und sein schnell abnehmendes Selbstvertrauen waren erschreckend genug, aber Simon war durch das Seil um seine Mitte auch mit allen seinen Gefährten verknüpft, mit Ausnahme der nicht angeseilten Sithi. Das bedeutete, dass er sich nicht nur eigener Fehler wegen Sorgen machen musste; auch der Fehltritt eines anderen konnte sie wie Gewichte an einer Angelschnur alle hinabziehen und kopfüber in die grenzenlosen Tiefen stürzen lassen. Sie kamen qualvoll

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