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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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noch nicht über den Bergrücken erhoben, im Schatten der Gipfel war es dämmrig. Ben hatte sie mit sicherem Tritt quer über den streckenweise bewaldeten Hang geführt, und seit wenigen Schritten folgten sie nun der breiten, holprigen Straße, die aus dem diesigen Tal zur Siedlung hinaufführte.
    Trotz des noch schwachen Lichts konnten sie erkennen, woher die Stadt ihren Namen hatte. Sie erhob sich über vier mächtige Felszinnen, die in unregelmäßiger Reihe nebeneinander aus dem Berg wuchsen und von denen die kleinste bestimmt siebzig Schritt durchmaß, die größte wohl über einhundertfünfzig.
    Hoch ragten sie alle vier auf, und die oberste Hälfte einer jeden schien von Wohnhöhlen oder zahlreichen Kellerräumen durchzogen zu sein. Sauber gehauene und gleichmäßig angeordnete Fenster saßen dort im Fels, die meisten hatten die Form eines Spitzbogens, viele waren mit grünen, blauen oder orangefarbenen Fensterläden ausgestattet, die fast ausnahmslos geschlossen waren. Ben zählte je nach Zinne zwischen sieben und dreizehn Ebenen, in denen irgendwer zu wohnen schien, eine gewaltige unterirdische Siedlung. Einige Fenster waren so groß, dass sich dahinter gut ein Tempel, eine Versammlungshalle oder ein anderweitig genutzter
Raum verbergen konnte, der einem Drachen ausreichend Platz bot.
    Auf den Felsen selbst drängte sich ein schmales, spitzgiebeliges Haus an das andere, manche balancierten so nah an der äußersten Kante der Felsen, dass es wirkte, als wollten sie jeden Moment in die Tiefe springen. Licht brannte kaum irgendwo, die Stadt schien noch zu schlafen. Auf den überwiegend blauen Dachziegeln schimmerte der Morgentau. Es war ein intensives, helles Blau mit unregelmäßigen weißen Einsprengseln, das an die Farbe von Flusstaubeneiern erinnerte. Nicht weit über den Dächern kreisten große, dunkle Vögel.
    Zahllose Brücken verbanden die Felszinnen miteinander, sowohl die Gebäude oben als auch die aus dem Stein gehauenen Siedlungen darunter. Es gab schmale, schlichte Hängebrücken, aber auch breite, mit zahlreichen Laternen, Türmchen und Zinnen verzierte Konstruktionen aus Stein, auf denen bestimmt drei Kutschen nebeneinander fahren konnten – oder ein großer Drache bequem mit schlenkerndem Schwanz entlanglaufen.
    Sanfter Wind war aufgekommen und strich über die Gebirgskette hinweg. Er wehte die Geräusche aus dem Tal nach oben, das Plätschern von Wasser, das hungrige Blöken wilder Bergschafe und den Gesang eben erwachter Vögel.
    Die Straße führte direkt auf den ersten Felsen zu und wand sich dann als breite Rampe um ihn herum. Das Stadttor musste sich auf der Rückseite befinden. Dort war es der nächsten Zinne zugewandt, so dass ein Angreifer, obwohl noch vor dem verschlossenen Tor, einen Teil der Stadt vor sich und einen weiteren in seinem Rücken hatte. Dank dieser ausgeklügelten Bauweise war er praktisch eingekesselt und konnte von wenigstens zwei Seiten aus bekämpft werden,
obwohl eigentlich er die Stadt als Belagerer hatte einkreisen wollen.
    »Die ist uneinnehmbar.« Mit offenem Mund starrte Yanko hinüber und blieb stehen. »Jetzt verstehe ich, warum hier irgendwelche Ketzer unbehelligt leben können.«
    »Außerdem sind wir hier am Rand des Großtirdischen Reichs«, fügte Nica hinzu und atmete tief durch. »Ihr wisst selbst, wie wenig sich der König und der Orden um Trollfurt gekümmert haben.«
    »Aber in Trollfurt gab es keine Ketzer«, sagte Ben und trieb die anderen weiter. Ausruhen konnten sie schließlich auch in Vierzinnen, während sie sich nach dem gefangenen Drachen umsahen.
    »Glaub mir, mein Vater und seine Arbeiter waren nicht die Ersten.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja. Und das alles hätte auch niemanden interessiert, Hauptsache, eine Stadt hat einen Hellwahtempel und schickt pünktlich die Abgaben. Niemand wäre gekommen, hätte es nicht die Gerüchte um neue Blausilberfunde in der alten Mine gegeben. Doch so schickte der Orden einen Ritter mitsamt Jungfrau, denn er witterte Geld. Das interessiert ihn. Was ein paar Menschen an der Grenze glauben, ist ihm egal, solange sie stillhalten.«
    »Das kann uns nur recht sein«, sagte Ben nach einer Weile. »Dann dürften uns hier auch keine Steckbriefe des Ordens erwarten. Ein Ort, an dem wir nicht gesucht werden, das gefällt mir.«
    So locker die letzte Bemerkung hatte klingen sollen – je näher er der Stadt kam, desto deutlicher stiegen die Erinnerungen an Falcenzca in ihm hoch. Trampelnde Schritte, die
hinter ihm

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