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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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über das Pflaster hetzten, geifernde Schreie: Meiner, er ist meiner!
    Unwillkürlich schielte er über die Schulter, doch die Straße hinter ihnen war so verlassen wie die gesamte Bergflanke. Aber auch wenn er sich hundertmal beruhigte, sie würden nun eine Ketzerstadt betreten, wo der Orden sicherlich keine Steckbriefe aufhängte, ganz wurde er die Angst vor einer Entdeckung nicht los. Mit Sicherheit wussten sie rein gar nichts über diese Stadt, denn keiner von ihnen war je dort gewesen. Die Schreie und hetzenden Schritte gieriger Verfolger hatten sich zu sehr in ihm festgesetzt und brodelten jetzt hoch, ohne dass er es verhindern konnte. Da half keine Vernunft. Wütend knurrte er sie nieder, er wollte kein Feigling sein.
    Schritt um Schritt stiegen sie die Rampe hinauf. Die Felswand zu ihrer Linken war rissig, hier und da wuchsen spärlich Gräser oder kleine Blumen mit fingernagelgroßen roten Blüten und herzförmigen stachligen Blättern in einer Spalte.
    »Gut, dass Aiphyron nicht dabei ist. Der würde jede zweite Blume ausreißen und fragen, ob sie eine Feuerblume sei.« Grinsend deutete Yanko auf die Pflanzen im Stein und zwinkerte Ben und Nica zu. »Wir bräuchten ewig.«
    Ben und Nica lachten. Wenn Yanko dieses schelmische Grinsen aufsetzte, konnte man einfach nicht anders. Und doch war es nicht allzu laut. Zu viele Gedanken an einen geldgierigen Mob steckten in Ben, und Nica war sichtlich angespannt. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, der Blick irrlichterte hin und her, dann blitzten wieder Wut und Hass in ihren Augen auf und die Lippen bewegten sich, als führe sie lautlose Selbstgespräche. Gut möglich, dass sie diesen Norkham beschimpfte, den sie gleich in die Finger zu kriegen
hoffte. Dass sie wieder und wieder eine Rede übte, mit der sie ihm allen Hass ins Gesicht spucken wollte.
    Doch als sie schließlich das Tor auftauchen sahen, verging ihnen selbst dieses leise Lachen. Es war ein mächtiges Tor aus dunklem Holz, an das kopfgroße, fleckige, spitz zulaufende Buckel aus dunkel gestrichenem Stahl genagelt waren, wie auch flache, stilisierte Gesichter von Vögeln und Wölfen. Der eine Flügel wurde eben von zwei Männern aufgeschoben. Einer gähnte ausgiebig, während sich der andere intensiv unter der blau-roten Uniformmütze kratzte. Keiner von beiden achtete auf die zwölf Galgen, die in Reih und Glied vor dem Tor errichtet waren, alle links von der Straße und mit dicken Ketten im Fels verankert. Nur an einem einzigen Galgen baumelte kein Toter im Morgenwind.
    Ben wollte auf keinen Fall hinsehen, und doch schweifte sein Blick wie unter Zwang über die elf Gehenkten hinweg, über ihre eingefallenen und mit Tau benetzten Gesichter. Die Münder standen offen, die Augen starrten ins Leere. Ben schauderte, er musste schlucken.
    Seit Tagen mussten sie hier hängen, doch ihre Hände waren noch immer auf den Rücken gefesselt. Haare und Kleidung waren vom Wetter zerzaust, niemand hatte es gewagt, ihnen die Schuhe zu stehlen. Auf einem der Galgen saß ein großer Nachtadler mit schwarzem Gefieder und starrte Ben mit fahlen Augen an. Krächzend tapste er auf dem Balken hin und her und plusterte sich drohend auf. Ben sah zu dem Vogel hinauf und konnte so endlich den Blick von den Toten lösen.
    Die beiden Torwächter schlurften wieder in die Stadt zurück, ohne auf die Neuankömmlinge zu achten.
    »Was soll das?«, hauchte Nica.
    »Abschreckung«, sagte Yanko mit dünner Stimme und
räusperte sich. »So wollen sie mögliche Feinde abschrecken und zeigen, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist.«
    »Auch in Friedenszeiten?« Nicas Stimme klang hoch. »Die können doch nicht jede Woche jemanden aufhängen, nur für den Fall, dass ein möglicher Feind vorbeikommt.«
    »Woher soll ich das wissen? Dein Vater war Ketzer, nicht meiner.«
    »Wir haben nie jemanden zur Abschreckung vor unseren Stadttoren aufgeknüpft! Nie!«
    Wir, sie hatte wir gesagt, dachte Ben, aber er schwieg. Eigentlich war es egal, ob sie ein Ketzer gewesen war oder nicht. Von ihrem Vater hatte sie sich an seinem Grab losgesagt und sie wurde von Rachegedanken gegenüber einem Ketzer getrieben. Sie gehörte nicht mehr zu ihnen, und nur darauf kam es an, darauf, was sie heute dachte, glaubte und fühlte. Ben hatte früher ja auch Ordensritter werden wollen, und jetzt verabscheute er sie. Es war seltsam, dass er sich dennoch Gedanken darüber machte, dass Nica Ketzerin gewesen war. Als mache das einen Unterschied, dass sie mit anderen Lügen

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