Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
Hörner waren spitz und lang. Es gab Bauern, die erklärten ihren Kindern, die Ziegen hätten ihre schwermütigen Augen von der Trauer über all die unartigen Jungen und Mädchen, die sie in ihrer aufbrausenden Wut auf die Hörner genommen hatten. Hinterher täte es ihnen leid, doch dann sei es zu spät.
    Noch während sie die behäbig vor sich hin kauenden Ziegen beobachteten, schwappte ein tiefes Fauchen über Vierzinnen hinweg.
    »Ein Drache!«, stieß Ben hervor.
    »Woher kam das?« Hektisch sah sich Nica um.
    »Keine Ahnung«, sagte Yanko. »Meint ihr, das war er wirklich?«
    »Natürlich war das ein Drache.«
    »Das ist klar. Aber wer sagt denn, dass es hier nur den einen gibt?«
    »So groß ist die Stadt nicht.«

    »So klein auch nicht!«
    »Ja und? Ganz Trollfurt hatte jahrelang keinen einzigen Drachen!«
    »Trollfurt hatte gar nichts, Trollfurt liegt am letzten Ende der Welt!«
    »Ach, und das hier ist der pulsierende Nabel der Welt, oder was?«
    »Könnt ihr mal aufhören?«, giftete Nica. »Trollfurt ist hier völlig egal. Woher kam das Fauchen?«
    »Daher«, sagten Ben und Yanko zugleich und deuteten in völlig unterschiedliche Richtungen.
    Seufzend folgte Nica einer Straße, die etwa in der Mitte beider ausgestreckten Arme entlangführte. Den ganzen Tag schon war sie nervös und angespannt, kaute auf ihrer Unterlippe herum und trommelte im Laufen immer wieder mit den Fingern gegen ihren Oberschenkel. Auch wenn sie es manchmal mit einem Scherz zu überspielen suchte, sie dachte nur daran, dem Mann gegenüberzutreten, der dafür verantwortlich war, dass sie an den Opferpfahl gebunden worden war. Ben konnte nur Wut und Hass in ihren Augen brennen sehen, der Drache, den zu befreien sie geschworen hatte, war ihr egal.
    Aus einer Bäckerei drang der Duft frischen Brots, ein Metzger balancierte auf einem Stuhl und polierte mit hochgereckten Armen sein Ladenschild, ein Schmied brüllte hinter verschlossener Tür seinen Lehrling an, warum das Feuer noch nicht brenne. Mit missmutigen Gesichtern stapften die Menschen auf der Straße teilnahmslos vorbei. Nur wenige warfen sich einen Gruß zu, manche nickten kaum merklich, niemand schien guter Laune zu sein. Keiner hatte es eilig, von der hektischen Betriebsamkeit Falcenzcas fehlte hier jede Spur.
    Ben, Nica und Yanko wurden dagegen häufig misstrauisch
gemustert. Niemand fragte, woher sie kamen, doch jeder schien zu wissen, dass sie Fremde waren. Und Fremde schienen hier nicht willkommen. Doch so sehr Ben auch darauf achtete, auf keinem Gesicht blitzte die Freude auf, bald einen Haufen Geld einstreichen zu können. Niemand versuchte, ihrer habhaft zu werden, man ging ihnen einfach aus dem Weg wie einem räudigen streunenden Hund.
    Eine Frau, die vom Alter her ihre Mutter hätte sein können, drückte sich in den Eingang eines Fischladens und wartete mit der Hand auf der Klinke, bis sie vorbei waren, jederzeit bereit, ins sichere Innere zu fliehen. Dabei starrte sie Ben durchdringend an.
    »Das ist echt seltsam«, raunte Ben, vorsichtig darauf bedacht, von keinem Stadtbewohner gehört zu werden.
    »Ja, ein Fischer hier oben. Wo will der denn angeln? Im Brunnen?« Yanko breitete die Arme aus. »Oder seht ihr hier irgendwo fliegende Fische?«
    »Fieberschwätzer! Unten im Tal fließt ein Fluss oder drüben in der Klamm. Ich meinte die Leute. So griesgrämig und misstrauisch. Dabei kann hier doch kein Steckbrief von uns hängen, oder?«
    »Hör doch damit auf! Du wärst auch nicht anders, wenn vor deiner Stadt elf Gehenkte baumelten«, zischte Nica, und ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter. »Es ist die Stadt des verdammten Hohen Norkham, der meinen Vater dazu gebracht hat, mich zu opfern! Was habt ihr erwartet? Freundliche Onkel und Tanten?«
    »Psst!«, machte Ben; das musste doch nicht jeder hören. Im selben Moment legte ihr Yanko beruhigend die Hand auf den Arm. Dann beugte er sich vor, als wolle er sie küssen. Ben sah weg.

    Schweigend gingen sie weiter. Als sie schließlich das Gefühl hatten, die Zinne bereits dreimal umrundet zu haben, stießen sie plötzlich auf einen kleinen Platz, den sie noch nicht kannten. Dort stand ein weißer Tempel mit zahlreichen Säulen um die Außenwände, deren wuchtige Kapitelle mit allerlei stilisierten Pflanzen, Tieren und flügellosen Drachen verziert waren. Über dem Eingang prangte eine goldene vielstrahlige Sonne.
    »Endlich«, stieß Nica hervor. Hasserfüllt starrte sie hinüber.
    »Nicht rennen«, raunte Ben, um sie

Weitere Kostenlose Bücher