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Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten

Titel: Der Drachenflüsterer - Der Schwur der Geächteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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vor unüberlegten Handlungen zu bewahren. Sie waren zum Auskundschaften hier, nicht um den Hohen Norkham schon jetzt mit zornigen Tiraden zu überschütten.
    So schritten sie gemütlich über den verlassenen Platz. Die Fensterläden der meisten umstehenden Häuser waren verschlossen, ebenso das Tor des Tempels. Yanko fragte, ob es bei Ketzern nicht üblich sei, den Tempel für Gläubige offen zu lassen.
    »Doch«, sagte Nica und rüttelte verzweifelt an der geschwungenen Klinke aus polierter Bronze, wieder und wieder. Dann ließ sie sich auf die Stufen davor sinken. »Ich bin müde, so müde.«
    Auch Yanko und Ben setzten sich. Sie waren die ganze Nacht geflogen und den ganzen Morgen Treppen und Gassen rauf- und runtergerannt. Sie hatten keine Kraft mehr, etwas anderes zu tun als dazusitzen und die Beine auszustrecken. Den Drachen hatten sie auch nicht mehr gehört.
    »Soll ich uns bei dem Bäcker da vorn was holen?«, fragte Ben nach einer Weile und tastete nach den letzten Münzen in seiner Hosentasche. So wenig er aufstehen wollte, der Bauch knurrte, und er besaß noch sechs oder sieben kleinere Münzen.
Ihr beinahe einziges Vermögen bestand aus dem Blausilber, das sie aus der Trollfurter Mine mitgenommen hatten und das nun bei den Drachen in einem Beutel lag. Sie hatten noch keine Möglichkeit gefunden, es zu Geld zu machen.
    »Lass uns nur kurz durchatmen. Dann gehen wir alle. Wir haben keine Zeit zum Herumsitzen.« Mit einem Fluch schleuderte Nica einen Kiesel quer über den Platz. »Irgendwo muss die elendige Darmgeburt doch stecken!«
    Schweigend atmeten sie also durch, während sich die Sonne langsam über den Bergrücken erhob. Von hier aus konnten sie es nicht direkt beobachten, doch sie sahen ihr Licht hell auf den noch immer taufeuchten Dächern glitzern. Irgendwo in der Nähe wurde eine Tür geöffnet, schwere Schritte entfernten sich.
    Ben betrachtete seine Hände. Bald würde er mit ihnen einen weiteren Drachen kennenlernen und befreien. Seine Gabe verband ihn mit diesen Wesen. Egal, wie fremd sie waren, er fühlte sich ihnen vertraut. Doch wie vertraut waren sie Yanko und Nica? Er war immer davon ausgegangen, dass die beiden ähnlich empfanden wie er, doch weder waren sie Drachenflüsterer noch tagelang allein mit einem Drachen durch die Wildnis gereist. Wie hätten sie also eine ähnliche Beziehung zu ihnen aufbauen können? Natürlich trugen die Drachen die beiden, sprachen und alberten mit ihnen herum, aber hatten Yanko und Nica wirklich begriffen, dass Drachen mehr als Reittiere und große sprechende Haustiere waren? Anders als Menschen, aber ganz sicher keine untergeordneten Tiere, obwohl das ganze Großtirdische Reich sie so behandelte. Nica wurde von ihrer Rache getrieben, und Yanko war beim Schwur auf ihrer Seite gewesen. Verstanden die beiden wirklich, wie wichtig es war, Drachen zu befreien?

    Noch bevor er diese Gedanken richtig ordnen konnte, schlenderte ein Junge mit kurzen, dunkelblonden Locken auf den Platz, vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als sie. Kurz stutzte er, dann kam er auf sie zu. Er war barfuß und trug eine abgeschabte, geflickte braune Hose, die ihm bis knapp übers Knie reichte, und ein weites weißes Hemd, das fleckig und ausgebleicht war und zur Hälfte aus dem Bund gerutscht. Um das rechte Unterbein ringelte sich die Tätowierung eines grünen Drachen – Ben konnte die vier Klauen sehen, die sich ins Schienbein zu krallen schienen, und den langen Schwanz, der sich oberhalb des Knöchels zweimal rundum wand. Direkt vor ihnen blieb der Junge stehen und lächelte vorsichtig mit zusammengekniffenen Augen. Es war das erste Lächeln in Vierzinnen, das sie sahen. Er erinnerte Ben an sich selbst, wie er früher allein und doch pfeifend durch die Straßen von Trollfurt gezogen war.
    »Der Tempel ist zu«, sagte der Junge.
    »Das haben wir gemerkt«, entgegnete Ben. »Aber warum?«
    »Warum wollt ihr das wissen?«
    »Weil...«, setzte Nica an, zögerte und versuchte es dann mit einem Lächeln statt einer konkreten Antwort. »Wir sind fremd.«
    »Das sehe ich. Aber was wollt ihr hier?«
    »Jemanden besuchen.«
    »Und wen?«
    »Du bist ganz schön neugierig für dein Alter, was?«
    »Weiß ich.« Der Junge grinste breit. »Also?«
    »Und du weißt auch, dass einem die Ohren abfallen können, wenn man zu neugierige Fragen stellt?«, mischte sich Yanko ein.
    Einen solchen Unsinn hatte Ben noch nie gehört. Die Nase
konnte einem vielleicht abfaulen... das hatte zumindest

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