Der Drachenthron: Roman (German Edition)
langer Zeit erkannt hatte, dass sie genau in diesen Momenten am glücklichsten war. Nur dann war sie wirklich frei und konnte sich vorstellen, keinen Titel zu haben, keine Probleme, keine Familie, keine Töchter, die sie verheiraten musste, keine Komplotte schmiedenden Neffen, die es zu überwachen galt, keine Untertanen, keine Bindungen, keine Verpflichtungen …
Als sie sich bei diesen Gedanken erwischte, musste sie lachen. Und hier bin ich, dazu bestimmt, die nächste Sprecherin der Reiche zu werden. Würde ich das wirklich alles auf – geben, wenn mir jemand das Versprechen gäbe, dass ich eine echte Wahl hätte? Würde ich Mistral besteigen und über die Große Steinwüste zu den Geheimen Tälern fliegen, wo mich niemand erkennt und ich eine Fremde bin?
Die Antwort kannte sie nur zur Genüge: Sie würde keine einzige Sekunde darüber nachdenken. Was sie wahrscheinlich zu einer Närrin machte, und das wiederum ließ sie noch lauter lachen. Als sie endlich Valgars Nest erreichte, fühlte sie sich zehn Jahre jünger.
Sie hatte gehofft, das angenehme Gefühl würde bis nach der Landung anhalten, doch dem war nicht so. Es erstarb genau in dem Moment, als sie ihren Feldmarschall erblickte, Lady Nastria, die mit raschen Schritten über die versengte Erde auf sie zurannte. Nastria steckte bereits halb in ihrer Rüstung, als wollte sie jede Minute abreisen, und schwenkte etwas in der Hand.
»Eure Heiligkeit! Königin Aliphera ist tot!«
6
Huros
H uros war über alles bestens informiert, denn ohne ihn lief nichts. Er hatte sich mit Isentine, dem Drachenmeister, beratschlagt, und gemeinsam hatten sie Königin Shezira alles bis ins kleinste Detail über die Route erzählt, die sie ausgewählt hatten, um Prinzessin Lystra zu ihrer Hochzeit zu geleiten: die genaue Anzahl der Drachen, die mitfliegen, jeden einzelnen Ort, an dem sie eine Rast einlegen und exakt wie lange sie dort verweilen würden.
Sie verließen König Valgars Nest bei Anbruch der Morgendämmerung. Das war für Huros keine Überraschung, immerhin war das sein eigener Plan gewesen. Heute mussten sie die längste Etappe ihrer Reise hinter sich bringen und würden den ganzen Weg bis zum Adamantpalast fliegen. Sie würden dort genau einen Tag bleiben, nicht kürzer und nicht länger, damit sich die Drachen ausruhen konnten. Im Stillen freute sich Huros darauf. Er würde die Zeit mit den mächtigsten Alchemisten der Reiche verbringen, vielleicht sogar mit Meister Bellepheros höchstpersönlich. Es war eine günstige Gelegenheit, neues Wissen aufzusaugen, und diese verlockende Vorstellung hatte seine Gedanken bis spät in die Nacht erfüllt. Demzufolge war er nicht ganz ausgeschlafen, als es an seiner Tür klopfte.
Noch während die Sonne über den Horizont zu klettern versuchte, stolperte Huros ins Freie und überprüfte dort ein letztes Mal, ob seine Elixiere sicher verpackt waren. Dann wickelte er sich in seinen dicken und kuschlig warmen Flugmantel, schnallte sich auf dem Rücken eines Drachen fest und begann die anderen Personen, die um ihn herum die letzten Vorbereitungen trafen, zu zählen. Als er die Zahl zwanzig erreichte, wurden seine Lider so schwer, dass er ihnen eine kurze Pause gönnen wollte. Das Zählen war sowieso unnötig. Er wusste genau, welche Drachen ihn begleiteten und wohin die Reise ging.
Andere Männer kletterten neben ihm auf das Reittier. Huros spürte, wie der Drache zu laufen begann und sich dann in die Lüfte schwang. Er blickte sich schläfrig um und schloss schließlich wieder die Augen.
Als er zwei Stunden später erwachte, weil sein Magen ihn daran erinnern wollte, dass er ohne Frühstück losgeflogen war, befand er sich am völlig falschen Ort. Die Gebirge des Weltenkamms waren viel zu nah. Und noch schlimmer, neben ihm hätten eigentlich dreißig Drachen am Himmel schweben sollen. Stattdessen konnte er lediglich die makellos Weiße und zwei weitere Kriegsdrachen sehen, doch das war alles.
»Äh … Entschuldigung?«
Zwei Männer befanden sich auf seinem Kriegsdrachen. Einer war der Reiter, der auf den Schultern des Tieres saß, der andere sah wie ein Knappe aus. Huros runzelte die Stirn und versuchte angestrengt, sich an den Namen des Burschen zu erinnern. Derjenige, der sich um die Weiße kümmerte. Kailin.
»He da! Knappe!«
Der Knappe drehte sich um und warf Huros einen ausdruckslosen Blick zu. Der Reiter war zu weit entfernt, um sie über den pfeifenden Wind hinweg zu hören.
»Knappe! Verstehst du
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