Der Drachenthron: Roman (German Edition)
auf einmal und schnappte nach Sollos, der in aller Hast beiseitesprang und dabei der Länge nach auf den Boden fiel. Der Drache starrte ihn böse an.
»Du verlangst viel, Söldner.«
»Ich verlange gar nichts, Reiter«, schrie Sollos, rappelte sich wieder auf und beäugte misstrauisch den Drachen. »Das ist der Preis, den die Leute hier verlangen.«
»Sag ihnen, wir gehen nicht auf ihre Forderung ein.«
»Dann werdet Ihr den Drachen der Königin nie finden, Reiter Semian.«
Der Drache fletschte die Zähne. Sein Schwanz war hoch in die Luft gereckt und schnalzte wie eine tödliche Peitsche vor und zurück. Unter ihren Artgenossen ließen die Drachen den Schwanz herabsausen, wenn sie verärgert waren. Es sollte eine Warnung sein. Aber wenn sie es bei Menschen taten … Sollos schloss die Augen und versuchte, nicht darüber nachzudenken.
»Morgen«, rief Semian. »Wir treffen uns morgen wieder hier.« Der Drache drehte sich jäh um und begann schwerfällig über die Kiesbank zu laufen. Die Steine knirschten und hüpften bei jedem seiner riesigen Schritte, und Sollos glaubte, der ganze See erzittere und schlage Wellen. Dann breitete das Ungetüm die Flügel aus, hievte sich mit einem lauten Donnergrollen in die Lüfte und war im nächsten Augenblick hoch am Himmel. Sollos sah ihm nach. Mit jedem Flügelschlag entfernte er sich weiter, doch dann machte der Drache eine scharfe Kurve und tauchte wieder zu ihnen herab.
»Du hättest tausend Golddrachen verlangen sollen«, sagte Kemir, der auf einmal neben ihm auftauchte.
»Du hast recht.« Sollos zuckte mit den Achseln. »Immerhin ist es auch nicht sein Geld.«
19
Die Taiytakei
J eder andere Drachenlord, sinnierte Jehal, hätte nicht mit dieser Art von Schwierigkeiten zu kämpfen. Jeder andere Drachenlord wäre einfach in sein Nest gegangen, hätte die Drachen gemustert und wäre dann zu seinem Palast zurückgekehrt. Jeder andere Drachenlord hätte sein Nest aber auch der Bequemlichkeit wegen ein wenig näher an seinen Palast gebaut. Er hingegen musste zu einem Feld außerhalb der Stadt reiten, um Königin Sheziras Drachen zu mustern. Ihm hätte der Ausflug nichts ausgemacht, aber da er ging, musste ihm jeder andere folgen, und das bedeutete, dass sein ganzer Hofstaat in Kutschen verfrachtet werden musste. Was eigentlich ein zwanzigminütiger Ritt auf dem Rücken eines Pferdes war, hatte sie nun geschlagene eineinhalb Stunden gekostet, und nun verzögerte sich auch noch die gesamte Hochzeit. Zu wissen, dass der Drache, den er besitzen wollte, überhaupt nicht dort wäre, machte die Sache nicht gerade erträglicher.
Er vertrieb sich die Zeit, indem er die Gäste vor seinem geistigen Auge entkleidete. Zafirs kleine Schwester, Prinzessin Zara-Kiam, entschied er, war sogar die Mühe wert, ihr schon sehr bald nicht nur in Gedanken die Kleider vom Leib zu reißen. Es gab ein paar Cousinen und andere unwichtige Verwandte, um die er sich womöglich auch kümmern sollte: zum Beispiel Königin Fyons Jüngste, Prinzessin Lilytha, falls ihr Bruder, Prinz Tyrin, sie nicht zuerst in die Finger bekam. Jehal verengte die Augen zu Schlitzen, betrachtete sie der Reihe nach und versuchte, eine Entscheidung zu treffen.
Er seufzte. Alle hatten ihm vorgeschwärmt, dass Hochzeiten wunderschöne Tage seien, voller Freude und Glückseligkeit, doch wenn er sich so umsah, konnte er nichts davon entdecken. Seine Gäste waren übel gelaunt, vollgefressen mit unzähligen kleinen Köstlichkeiten und traten ungeduldig von einem Bein aufs andere. Königin Shezira wirkte angespannt. Sie hatte ihm nicht direkt gesagt, dass die Weiße verschwunden war, also bestand die Möglichkeit, dass es auch sonst niemand getan hatte. Jehal hatte längst beschlossen, diesen Umstand genüsslich auszukosten. In Königin Zafirs Gesicht hatte sich ein wütend-grimmiger Ausdruck geätzt. Jehal selbst konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass die gesamte Angelegenheit eine einzige Zeitverschwendung war. Der einzige Mensch, der sich zu amüsieren schien, war Prinzessin Lystra.
Sie saßen nebeneinander auf ihrem Hochzeitsthron, beschattet von einer notdürftigen Markise, während alle anderen in der Sommersonne brutzelten. Wenn er gewollt hätte, hätte er nach der Hand seiner Braut greifen können, aber anscheinend ziemte sich das noch nicht. Sie befanden sich in einer sonderbaren Übergangszeit zwischen nichtverheiratet und bald-verheiratet. Sie hatten bereits das Morgendämmerungsritual und dann das
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