Der Drachentöter
Brunnen vorbei, wo Steinnymphen in Steinwellen badeten. Der modrige Wind blies tote Blätter über die Straße. Als Retief stehenblieb, glaubte er leise Schritte zu hören, doch im nächsten Augenblick verstummten sie.
»Kommt heraus«, rief Retief. »Ich habe ein paar interessante Neuigkeiten für euch.«
Geisterhaftes Lachen klang auf – vielleicht war es auch nur der Wind, der um die schlanken Säulen eines Tempels spielte. Retief ging weiter. Als er um die Ecke bog, sah er eine Bewegung – einen Schatten, der in einem Eingang verschwand. Er folgte und betrat einen Saal ohne Decke. Von den Wänden starrten ihn riesige Freskengestalten an.
»Ich brauche einen Führer«, rief Retief. »Freiwillige bitte vortreten.«
»… eten… eten… eten«, sagte das Echo.
»Bei euch findet nämlich eine kleine Invasion statt.«
»att… att… att.« Im gleichen Moment quietschte die Eingangstür und fiel mit einem dumpfen Knall zu. Retief ging zurück und rüttelte an der Klinke. Die Tür war fest verschlossen. Also wandte er sich wieder dem Saal zu. Ein breiter Korridor war im Hintergrund zu sehen. Retief machte einen Bogen um einen dunklen Teich, in dem sich der Mond spiegelte, und betrat den Korridor. Nach zwanzig Schritten kam er an eine Treppe, und dann stand er auf einer breiten Terrasse. Vor ihm breitete sich ein dunkler, verwildeter Park aus.
Retief ging ein Stück durch das knietiefe Gras und erreichte einen Pfad zwischen majestätischen Baumriesen. Aus den Schatten grinsten ihn Steinfratzen an. Er tauchte in einer Laubenpromenade auf. Lebensgroße Statuen umringten ihn. Ganz in der Nähe verbarg sich ein Säulenaltar hinter den tiefhängenden Zweigen einer Tanne. Leise näherte sich Retief dem Bauwerk von der Seite her. Durch eine Gitteröffnung fiel schwaches Mondlicht auf das efeuumrankte Standbild eines Sulinorers in der Rüstung der alten Krieger. In der Dunkelheit hinter dem Helden bewegte sich etwas.
Retief warf einen kleinen Stein durch das Fenster und preßte sich an die Wand neben dem Eingang. Einen Augenblick später tauchte ein Kopf auf – und Retiefs Hand umklammerte den schlanken Nacken eines Sulinorers.
»Verzeihung, wenn ich als Spielverderber auftrete«, sagte er. »Aber es wird höchste Zeit, daß wir uns unterhalten.«
*
»Fremder, du hast den Heiligen Hain der Helden betreten«, sagte der Sulinorer schrill. »Darauf steht der Tod.«
»Das habe ich gehört.« Retief hielt den Kleinen ein Stück von sich weg, um nicht von den strampelnden Beinen getroffen zu werden. »Aber mein kleines Eindringen ist gar nichts im Vergleich zu der Invasion, die sich die Groaci ausgedacht haben. Vielleicht hört ihr mir besser zu, bevor ihr das Urteil fällt.«
»Das Morgen ist nichts, die Vergangenheit ist alles«, erklärte der Sulinorer. »Weshalb sollen wir gegen das Geschick ankämpfen, Fremder?«
»Wir können dem Geschick einheizen, mein Freund, wenn ein paar hundert kräftige Sulinorer die Groaci-Patrouillen ablenken, bis ich die terranische Botschaft betreten habe.«
»Opfere ein letztes Mal deinen Göttern, Mann von Terra«, unterbrach ihn der Sulinorer. »Dein Los ist besiegelt.«
»Du bist hartnäckig, das muß ich zugeben«, sagte Retief. »Es sieht so aus, als müßte ich mir einen Bürger mit mehr Gemeinsinn suchen.« Er ließ den Eingeborenen los, der seine bunte Toga glattstrich und ihn trotzig ansah.
»So geht das nicht, Terraner«, sagte er und überkreuzte die Arme. »Du wirst diese heiligen Hallen niemals verlassen.«
Hinter Retief raschelte etwas. Aus sämtlichen Gestrüppen tauchten Sulinorer auf; in ihren Händen glitzerten ellenlange Stilette. Schweigend drangen sie auf Retief ein. Retief zog sich bis zu dem Altar zurück, hob den Strahler und schwang ihn über dem Kopf. Die Angreifer blieben stehen.
»Willkommen bei der Party«, sagte er. »Das Gericht ist nun beschlußfähig. Vielleicht kommen wir damit weiter.«
»Du schmähst die glorreiche Vergangenheit, Terraner«, sagte ein runzeliger Sulinorer. »Du häufst Kränkung auf Kränkung.«
»Ich kümmere mich nur um die Kränkung, die euch die Groaci zufügen wollen«, sagte Retief. »Euch scheint es ja ziemlich gleichgültig zu sein, von unserem Standpunkt aus betrachtet, könnte es sich aber um einen häßlichen Präzedenzfall handeln.«
»Terry, vorbei sind die Tage, in denen wir von Sulinore große Krieger waren. Wenn es sich nun ergibt, daß wir sterben müssen, werden wir unser Los mit Würde
Weitere Kostenlose Bücher