Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
nein, Schwangerschaft sei nicht der Grund gewesen. Wie sollte eine Ärztin im Praktikum nach sieben Jahren -
»Schon gut. Ich weiß. Damit rennst du bei mir offene Türen ein.«
»Ich wollte, dass es mir besser geht. Ich war auf der Suche nach Heilung.«
Sie berührte meinen Unterarm. »Heilung?«, flüsterte sie. »Hast du irgendwas, von dem du mir nichts erzählt hast? Und weiß Ray Bescheid?«
»Ray weiß Bescheid. Ray hat das gleich am ersten Tag mitgekriegt.«
»Wie schlimm ist es?«, fragte sie jetzt mit heiserer Stimme. »Sag’s mir, wie’s ist.«
»Das wird jetzt nach Selbstmitleid klingen. Und ich weiß, dass du dich dann verpflichtet fühlst -«
»Sag es«, befahl mir Sylvie. »Was hat Ray diagnostiziert, das deinen Kollegen entgangen ist?«
Ich wollte nicht beichten, aber Sylvie ließ nicht locker. Und Sylvie war wieder da.
»Wie einsam ich bin«, sagte ich.
28
DIE BRÄUTLICHE EHEFRAU
Was war es bloß, das mich am 29. Juni an meines Vaters starrem Arm zum Altar schreiten ließ? Meiner Schwester hinterher, die in ihrem meergrünen Seidenchiffon ziemlich vergewaltigt aussah, Ray Russo entgegen, der mich, mit weißer Krawatte, Frack - und Zugkarten zu den Niagara-Fällen in der Brusttasche - in Empfang nahm. Könnte ich das verstehen, könnte ich vielleicht auch zur Zufriedenheit des Publikums die psychologischen Höhenschichtlinien der Alice Thrift zeichnen.
Doch alles der Reihe nach.
Am Morgen nach der Entspannung zwischen Sylvie und mir kamen meine Eltern ohne vorherige Ankündigung aus Princeton angefahren und folgten der Beschilderung zur Chirurgischen Abteilung. Es war ein guter Tag gewesen. Bei der Morgenvisite hatte Mr. Parrish in die halbkreisförmig aufgereihten Gesichter der Assistenzärzte geblickt, gelächelt, als er meines erspähte, und verkündet: »He! Da ist ja meine Lieblingsärztin. Guten Morgen!« Ungläubige Köpfe folgten der Richtung seines Grußes - abwärts auf die unterste Ebene der medizinalen Hackordnung - und wandten sich dann wieder Mr. Parrish zu, mit Mienen, die fragten: Leidet der Patient unter Wahnvorstellungen?
Fröhlich sagte ich: »Guten Morgen! Wie geht’s Ihnen denn?«
»Wie besprochen. Ein bisschen verzagt wegen der Prognose, aber ich bleibe am Ball.«
»Das will ich auch hoffen«, sagte ich.
»Dr. Thrift«, sagte der Oberarzt mit einem ratlosen Lächeln, »könnten Sie für uns Mr. Parrishs postoperativen Zustand zusammenfassen?«
Ich stellte mich in meiner allerbesten Haltung ans Bett. Erhobenen Hauptes zeigte ich alles, was ich draufhatte. Ich referierte über seine Urinausscheidung, den Befund, die Medikamente und zeigte, ohne mit der Wimper zu zucken, allen Anwesenden die saubere, trockene Wunde.
»Kann sie noch ein paar Minuten da bleiben?«, fragte Mr. Parrish.
»Wir machen gerade Visite«, kläffte einer der dienstälteren Assistenzärzte, der nie eine Gelegenheit ausgelassen hatte, mich zu peinigen oder mir seine Verachtung zu zeigen.
»Wissen Sie, was wir machen?«, sagte ich. »Ich bringe die Visite zu Ende und komme wieder zu Ihnen. Aber nur, wenn Sie meinen, dass es noch warten kann.«
»Es kann warten«, sagte Mr. Parrish. »Und ich will ganz bestimmt nicht, dass Sie Ärger kriegen.«
Der Typ von vorhin kicherte hämisch.
Ich sagte zu Mr. Parrish: »Ignorieren Sie ihn. Er findet die Vorstellung spaßig, dass ich Ärger kriegen könnte.«
»Das soll aber nicht heißen, dass der Rest von Ihnen nicht tolle Arbeit leistet«, sagte Mr. Parrish.
»Er arbeitet mit Jugendlichen«, erklärte ich, »und glaubt an die Kraft positiver Verstärkung.«
»Meine Frau kommt zu Mittag«, fuhr Mr. Parrish fort. »Könnten Sie da vielleicht kurz reinschauen, damit sie Sie kennen lernt?«
»Mich?«, fragte der Oberarzt.
»Ich hatte eigentlich an einen kleinen Plausch mit Dr. Alice gedacht. Unsere jüngere Tochter denkt daran, Medizin zu studieren, und ich dachte …«
»Hat Ihre Frau schon mit dem Onkologen gesprochen?«, fragte der Chirurg und klopfte mit seinem Sterling-Silber-Füller auf das Klemmbrett.
Ein paar von uns zogen hörbar die Luft ein. Mr. Parrishs Miene verzog sich. Er war wieder bei seinen Lymphknoten, seiner Diagnose, seiner Angst.
»Ich würde Mrs. Parrish sehr gern kennen lernen. Und Sie haben mir nie etwas von Töchtern erzählt, schon gar nicht von einer, die Medizin studieren möchte. Am besten geben Sie mir Ihre Telefonnummer, damit ich ihr das ausreden kann.«
Er versuchte zu lächeln.
Durch die dünne Decke
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