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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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Beerdigung, Ray«, sagte meine Mutter.
    Den Kennerblick gänzlich von uns ab- und der Maske zugewandt erklärte er, dass er sich nicht aufdrängen wolle.
    Da erkannte ich an dem Blick, den meine Eltern einander zuwarfen, dass diese Einladung nicht etwa ihrer Gastfreundschaft entsprang, sondern der Furcht, ein saisonal beschäftigter Schokoladenvertreter könne, unbeaufsichtigt, die Heimstatt der trauernden Hinterbliebenen plündern. »Aber wir bestehen darauf«, sagte meine Mutter.
    »Was immer Sie für richtig halten«, antwortete Ray, der mittlerweile eine der Arbeiten meiner Mutter in Augenschein genommen hatte. »Ich kann hier bleiben, oder mich in der Kirche in eine der hinteren Bänke setzen. Weit genug weg von den nächsten Angehörigen, dass keiner fragt, ›Wer ist denn das?‹«
    Darauf sagte meine Mutter: »Ich bin der Ansicht, dass jeder, der sieben Stunden im Auto …«
    »Wir haben nicht einmal sechs gebraucht«, warf ich ein.
    »Jeder, der mehr als fünf Stunden zur Beerdigung einer völlig Fremden fährt, auf jeden Fall am Gottesdienst teilnehmen sollte«, fuhr sie fort. »Und wenn irgendjemand daraus irgendwelche Schlüsse ziehen sollte, dann ist das heute mein geringstes Problem.«
    »Es wäre mir eine Ehre«, gab Ray zurück. Als er sich wieder uns zuwandte, verfielen ihm Miene und Stimme. »Man sollte meinen, ich müsse eine Abneigung gegen Beerdigungen haben, nach dem Unglück, das mich selbst heimgesucht hat, doch gerade das Gegenteil ist der Fall.«
    »Unglück?«, echote meine Mutter.
    »Ray hat erst vor kurzem seine Frau verloren«, erklärte ich.
    »Nein!«
    »Autounfall«, sagte Ray.
    »Wann?«, fragte mein Vater.
    »Am 20. Januar letzten Jahres - Eis, Schnee, Schneeregen, ein einziges Chaos. Der Wagen hatte Vierradantrieb und ASR. Ich dachte, der wäre narrensicher.«
    »Airbags?«, erkundigte sich meine Mutter.
    Darauf antwortete Ray: »Darüber will ich lieber nicht reden, sonst verliere ich die Beherrschung. Sie sind nicht aufgegangen, lassen wir’s dabei.«
    »Sie Ärmster«, sagte meine Mutter und bedeutete uns mit Richtung Toilette wedelnden Fingern, man möge ihr ein Taschentuch bringen.
    »Ich bestehe darauf, dass du dich hinlegst«, griff mein Vater das Thema wieder auf. »Du hast einen langen Tag vor dir und jede Menge Leute, die das Dahinscheiden ihrer eigenen Mutter mit dir erörtern werden wollen. Das wird dich viel Kraft kosten, mein Liebling.«
    »Genau aus diesem Grund habe ich meine eigene Tragödie nicht ins Spiel gebracht«, erklärte Ray. »Wenn jetzt aber jemand anderer mit seiner anfängt? Dann geben Sie mir ein Zeichen, und ich höre mir die Geschichte für Sie an, O. K.? Darf ich wenigstens das für Sie tun?«
    »Sie dürfen«, erwiderte meine Mutter. »Ich wünschte nur, Sie wären schon hier gewesen und hätten einige der Anrufe entgegennehmen können.«
    »Wir mussten den Anrufbeantworter einschalten«, ergänzte mein Vater.
    Ray schüttelte den Kopf. »Diese Leute. Warum können die nur ihr Hirn nicht einschalten?«
    »Genau«, bestätigte meine Mutter. »Das Ganze war ein Lehrgang in Psychologie für Fortgeschrittene. Leute, die man kaum kennt, schicken Obst, kaum dass sie die Todesanzeige gelesen haben, während einige der besten Freunde nicht einmal anrufen.«
    »Sie wollten dich nicht behelligen«, sagte ich. »Oder vielleicht haben sie aufgelegt, weil nur der AB dran war.«
    Meine Mutter machte sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer, beide Hände auf dem Treppengeländer.
     
    Frederick war allein in der Küche, angetan mit den Insignien seiner Profession plus gestreiften Beinkleidern und roten Plastik-Clogs. Als ich die Pralinenlieferung ankündigte, verzog er die Lippen und deutete auf eine weit entfernte Abstellfläche.
    »Meine Mutter möchte sie anbieten.«
    »Ich habe Trüffeln«, sagte er patzig.
    Vielleicht löste diese Herablassung von Seiten des Inhabers eines Partyservice bei mir eine Empfindung für Ray aus - etwas wie Mitgefühl, Loyalität, Barmherzigkeit. »Ein Gast hat sie mitgebracht. Ein Gast, der heute um fünf aufgestanden ist, damit ich nicht den Bus nehmen muss.«
    Mit einem Zipfel seines Leinengeschirrtuchs wischte Frederick einen Tropfen klebriger, roter Schmiere von einer Platte. »Und Sie sind?«
    »Alice.«
    »Das Problem ist, Alice, dass dies hier keine Party ist, zu der jeder etwas mitbringt. Alles ist geplant, bis hin zur Farbe der Zuckerwürfel. Diese Pralinen zusammen mit den Trüffeln anzubieten wäre dasselbe wie Steak und

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