Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
daheim.«
»Sehen Sie, dass das Holz verkohlt ist? Wahrscheinlich wurde es für ein Grillfest am Strand benutzt.« Sie deutete auf ein zerknülltes Stück Papier. »Da habe ich ein bisschen nachgeholfen, aber ich entschuldige mich nicht dafür.«
Ray ging näher heran, legte den Kopf schief und las vor: »Nokia gibt Gewinnwarnung aus.«
»Das stammt natürlich aus dem Wall Street Journal . Und das habe ich im Müll gefunden, wenn ich ehrlich sein soll, nicht am Strand.«
»Erzählen all Ihre Werke eine Geschichte?«, fragte Ray.
Meine Mutter bejahte. Es sei jedoch nicht ihre Geschichte, sondern die des Betrachters. Jede Komposition war ein Rorschachtest. Wenn jemand zum Beispiel Kapitalismus oder Unordnung oder Ohnmacht - oder wie er es auch nennen mochte - darin erblickte, dann durfte er sich auch die künstlerische Freiheit nehmen, einen Zeitungsausschnitt hinzuzufügen, auch wenn dieser nicht unbedingt organischer Bestandteil des Fundstücks war.
»Ich bin ein großer Fan von künstlerischer Freiheit«, verkündete Ray.
»Der Großteil meiner Arbeiten besteht ausschließlich aus Textilien. Das hier ist atypisch, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es hierher gehört, in den Essbereich.«
Ray sagte, er habe den Raum nur um der Kunst willen betreten, aber wenn er nun schon einmal hier sei, würde er sich ein bisschen was von den Garnelen für unterwegs mitnehmen. Was für ein Mahl! Welch großzügige Bewirtung! Was für eine wunderbare Familie!
Als ich in die Küche kam, standen Frederick und mein Vater am Herd, tranken Scotch und futterten Fredericks einmalige Gewürznüsse direkt aus der Sautierpfanne.
»Viel zu viel Essen«, sagte mein Vater zur Begrüßung.
»Ich habe Joyce ja gesagt, dass die Leute nach einem Begräbnis nicht viel essen, aber sie hatte mal wieder Angst, es könnte nicht reichen«, verteidigte sich Frederick.
»Das nächste Mal machen wir’s so: Sie tun so, als ob Sie ihre Anweisungen befolgen, aber in den Mengen, die Sie für richtig halten.«
»Genau das Richtige für Frederick«, sagte ich.
»Nämlich?«, fragte mein Vater.
»Noch mehr Autorität.«
»Ihre Tochter versucht sich in Ironie«, erklärte Frederick. »Sie ist der Meinung, dass ich ihrem Freund gegenüber nicht genügend Gehorsam an den Tag gelegt habe.«
»Ray ist nicht mein Freund.«
»Das will mir einfach nicht in den Kopf«, fuhr Frederick fort. »Jemand, der so ernst ist wie Alice - nicht nur im akademischen Bereich, sondern auch, was die Freude am Leben angeht - geht hin und fängt etwas mit einem Vertreter an. Ihre Eltern haben Sie nicht ans MIT und nach Harvard geschickt, damit Sie dann aus einem Wohnwagen heraus praktizieren.«
Ich sagte zu meinem Vater, dass ich ihn allein sprechen müsse. Er ging in die Speisekammer und ich folgte ihm. »Weißt du eigentlich, was ihm die Munition für all diese Querschüsse geliefert hat? Pralinen! Das entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie! Da verdient sich jemand seinen Lebensunterhalt damit, Teigtäschchen zu backen und Platten mit passiertem Fruchtmark zu dekorieren, und spielt sich als Richter und Geschworener in einer Person auf.«
»Kann man sich mit Pralinen seinen Lebensunterhalt verdienen?«, fragte mein Vater.
Ich sagte, ich hätte nicht die geringste Ahnung, wir hätten dieses Thema noch nie diskutiert.
»Ich stelle mich ja auch nicht hinter Frederick. Stell dir mal vor, man würde mich danach beurteilen, was meine Frau so produziert.«
»Also, was ist das für ein Benehmen«, rief meine Mutter von der Küchentür her. »Unsere Gäste wollen sich verabschieden.« Und an Frederick gerichtet: »Alice und ihr Vater standen sich schon immer sehr nahe …«
»Ich glaube, wir wissen beide, dass sie der Sohn ist, den er nie hatte«, sagte Frederick.
Wie kam er dazu, so etwas zu behaupten? Er musste doch wissen, dass meine jüngere Schwester Julie zu kurzes Haar und zu viele Piercings für Mutters Geschmack hatte, und ich somit ihre einzige Hoffnung auf eine Hochzeit und Enkelkinder war.
Mein Vater und ich verließen unsere Zuflucht.
»Ich komme dich bald besuchen«, kündigte meine Mutter an.
»Mich?«
»In Boston. Ist dir eigentlich klar, dass ich keinen einzigen freien Tag hatte, seit Nana im Krankenhaus lag? Ich habe jetzt erst eingesehen, dass mit dem Tod der Mutter die Nabelschnur endgültig durchschnitten ist. Nicht, dass mich diese Nabelschnur gestört hätte. Im Gegenteil. Ich war immer stolz darauf und habe gesagt, dass sie aus
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