Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
Vom Netzwerk:
Notfall? Mir kam es fast so vor. Sobald sein Blickkontakt sich etwas löste, zog ich meine Hand weg, ertastete meinen Piepser und löste mehrere hartnäckige, nicht verhandelbare Alarmrufe aus. »Mist«, sagte ich, stand auf und packte meine Jacke am Kragen. »Ich muss weg. Bleib du nur.«
    »Ich dachte, du hättest gar nicht Bereitschaft.«
    »Katastrophenübung.«
    »Hab ich’s nicht gesagt? Sie ist Sklavin ihrer Arbeit.«
    Zu meinem eigenen Erstaunen blieb ich kurz am Tisch stehen. »Ich denke daran aufzuhören. Meine Arbeit macht mich nicht glücklich. Im Gegenteil, sie macht mich todunglücklich.«
    »Sie schauen auch ziemlich komatös aus«, bestätigte die Kellnerin.
    »Und was ist mit deinen Träumen, anderen zu helfen? Was ist mit all den verunstalteten Kindern im Urwald, die operiert werden müssen? Lässt du die jetzt alle hängen, nur weil’s dir gerade schlecht geht?«
    »Hab jetzt keine Zeit«, sagte ich und trank einen herzhaftmännlichen Schluck Bier. »Die Pflicht ruft.«
    »Brauchen Sie ein Taxi?«
    Dankend verneinte ich. Zu Fuß sei ich schneller. Zehn Minuten höchstens. Sieben, wenn ich rannte.
    »Pass auf, wenn du über die Straße gehst. Und sei vorsichtig, es ist glatt«, rief Ray mir nach. »Und, número uno , Schluss mit dem Unsinn von wegen aufhören. O. K.?«
    Am Durchgang zwischen Restaurant und Bar blieb ich stehen und schlang mir den Schal um den Hals. Die Wartenden waren nicht weniger geworden. Einige sahen auf, aber da kam nur eine Frau, eingepackt in Gore-Tex und Thinsulate, und verließ das Lokal ohne Begleitung. Wieder griff ich zu meinem Piepser, der gehorsam verkündete, dass ich gebraucht wurde, ganz dringend, und ganz woanders.

10
    ICH BRINGE (BEINAHE) JEMANDEN UM
    Ich muss vorausschicken, dass es nach neunundzwanzig Stunden Dauereinsatz geschah. Die Sonne war aufgegangen, untergegangen und ein weiteres Mal aufgegangen, als ich zu einer recht bescheidenen Aufgabe in den OP gerufen wurde. Ich sollte während einer Gallenblasenoperation den Wundhaken halten. Entschuldbar oder nicht, ich nickte ein - eine einzige Sekunde bloß - und lockerte meinen Griff. Der Haken knallte zurück, traf den Chirurgen an der Hand und richtete einen Schaden an, auf den ich jetzt nicht unbedingt eingehen möchte. Blut spritzte in alle Richtungen. Der Chirurg schrie. Fluchte. Schleuderte irgendetwas Spitzes durch die Gegend und verfehlte mich, wie allgemein behauptet wurde, absichtlich. Die Patientin verblutete zwar nicht, trotzdem war es schlimm. Ich wollte fliehen, doch der Operateur befahl mir zu bleiben, denn auf diese Art konnte er so sarkastisch, verächtlich und detailliert es nur ging, beschreiben, was er jetzt alles tun musste, um den Schaden zu beheben. Dass er jetzt zum Beispiel keine andere Wahl hatte, als äußerst sorgfältig einen T-Drain in den bis dahin unversehrten und extrem wichtigen Gallengang zu legen, Dr. Thrift .
    Wenn ich sein Liebling, sein Vorzeigeassistent, gewesen wäre, hätte er sich vielleicht nicht so aufgeführt. Ich war jetzt hellwach und packte den Bauchdeckenhalter mit beiden Händen. Ich fühlte die Abneigung des Chirurgen bei jedem Einund Ausatmen, jedem wütenden Blick, den er mir über die Maske hinweg zuwarf. Vielen Dank, Dr. Thrift . Danke für Ihre Umsicht. Danke für Ihre Sabotage. Danke, dass ich jetzt wie der letzte Trottel dastehe, der größte Lügner - ich, der ich Mrs. Romanowski einen ganz unkomplizierten Eingriff und völlige Wiederherstellung prophezeit habe, werde jetzt kostbare Zeit damit verbringen, ihr die Komplikationen zu erklären, mit denen sie sich den Rest ihres Lebens herumschlagen muss.
    Was die Sache nicht einfacher machte - dieses Ungeheuer war noch dazu designierter Präsident des Bundes amerikanischer Chirurgen, und ich hatte ihn schon bei früheren Anlässen nicht mit Glanzleistungen beeindrucken können. Bei Visiten und anderen Gelegenheiten, die mir nun rückblickend als harmlos, ja geradezu günstig erschienen. Selbst unter den besten Voraussetzungen - wenn ich z. B. einem Patienten gute Nachrichten aus der Pathologie überbringen konnte - schaffte Dr. Charles Greenleaf Hastings es, mich dumm aussehen zu lassen.
    Und er hatte Recht: Man hatte mir eine untergeordnete Aufgabe erteilt, ich war nicht mehr als ein Handlanger, trotzdem hatte ich eine Kettenreaktion ausgelöst, die in keinem Verhältnis zu meiner minimalen Verantwortung stand. Wenn ich das Endresultat betrachtete - Patient lebt vs. Patient tot -, konnte ich mich

Weitere Kostenlose Bücher